DIE „ARISIERUNG“ DER INNSBRUCKER FIRMA ALOIS HERMANN

Aus: Tiroler Heimat 64 (2000), S. 237-258. Dort auch mit Fußnoten
Horst Schreiber

„Auch wir in Tirol haben noch allerhand Juden, und wir Tiroler lassen uns bekanntlich allerhand gefallen, ehe wir richtig zuschlagen. Aber wenn, dann richtig. Tiroler Fäuste haben nichts an Kraft verloren, und wer in der Geschichte einigermaßen Bescheid weiß, der wird diese Drohung verstehen.“

DER JUD MUß WEG UND SEIN GERSTL BLEIBT DA

In der ersten Zeit nach dem „Anschluß“ war es in Österreich zu quasi anarchischen Zuständen gekommen, als in Raubzügen jüdische Geschäfte geplündert, demoliert und beschmiert worden waren. Die Beschlagnahmung jüdischer Vermögenswerte ging soweit, daß selbst der Leiter des Judenreferats der Innsbrucker Gestapo diese Einziehungen als rechtlich nicht einwandfrei bezeichnete. Mitglieder der Beschlagnahmungskommandos versuchten sich so schamlos zu bereichern, daß dies sogar den NS-Behörden zu weit ging. In den Genuß des jüdischen Liegenschaftsbesitzes kamen in erster Linie die Parteiorganisationen, der Rest wurde dem Land Österreich übereignet. Die 17 in Tirol konfiszierten jüdischen Autos behielten sich Gestapo, SS, SA und HJ als Dienstfahrzeuge. Beschlagnahmte jüdische Wohnungen, Häuser und Villen dienten den NS-Machthabern als willkommene Verteilungsmasse, die gerade den Spitzen der Partei zugute kam. Gauleiter Franz Hofer, der für sich und die Partei wertvollen Familienbesitz aus dem Vermögen Friedrich Reitlingers in Jenbach „beschlagnahmte“, erwarb um einen äußerst geringen Betrag die Schindlervilla, Rennweg 10. Die Parterrewohnung der Villa Gänsbacherstraße 5 organisierte sich der „illegale“ Gauleiter Edmund Christoph als Bürgermeisterwohnung.

Der Prozeß der „Entjudung“ der Wirtschaft umfaßte die Enteignung von gewerblichen, land- und forstwirtschaftlichen Betrieben sowie von Haus- und Grundbesitz. Die betroffenen jüdischen EigentümerInnen wurden ihrer existentiellen Grundlagen beraubt, die Zwangsverkäufe bedeuteten den Verlust des ganzen oder überwiegenden Teils ihres Vermögens, sodaß schlußendlich nur noch Auswanderung oder Flucht übrig blieb, um wenigstens das nackte Leben zu retten. Unter „Arisierung“ ist „die Umstrukturierung der Eigentumsverhältnisse nach rassischen Prinzipien“ gemeint, wobei der Eigentumswechsel unter direktem und indirektem Druck bzw. in einer Atmosphäre erfolgte, die kein ordentliches Rechtsgeschäft und keine wirklich freie Entscheidung der jüdischen BesitzerInnen zuließ. Ohne Legitimierung eigneten sich verdiente Nazis als „kommissarische Verwalter“ jüdische Geschäfte und Betriebe an, um sich zu bereichern. Dies zwang die NS-Behörden, Ende April 1938 die Enteignungspolitik auf gesetzliche Grundlagen zu stellen. Alle jüdischen Vermögenswerte über 5.000 RM mußten bei der am 18. Mai im Rahmen des Handelsministeriums in Wien neu geschaffenen Vermögensverkehrsstelle, die österreichweit die „Arisierungen“ beaufsichtigte und lenkte, angemeldet werden. Gleichzeitig erfaßten die Bezirkshauptmannschaften auf Anordnung der Gestapo alle in Tirol lebenden Juden und Jüdinnen. Die für Tirol zuständige Arisierungsstelle unterstand Gauwirtschaftsberater Georg Bilgeri und wurde von Ing. Hermann Duxneuner geleitet. Mittels einer staatlich gelenkten Beraubung und wirtschaftlichen Entfernung der jüdischen Bevölkerung wollten die NS-Behörden eine Schwächung der Volkswirtschaft verhindern, die aufgrund eigenmächtiger „wilder Arisierungen“ drohte. Im Zuge der „Arisierung“ wurden zahlreiche jüdische Geschäfte aufgelöst, um so eine groß angelegte wirtschaftliche Strukturbereinigung in die Wege zu leiten. Zum anderen sollten die in „arische“ Hände übergeführten Betriebe eine Leistungs- und Wertsteigerung erfahren. Daher traten fachliche Kompetenz, geschäftliche Eignung und Kapitalkraft der „Ariseure“ immer stärker in den Vordergrund, auch wenn der Einsatz für die Partei nach wie vor als wichtiges Kriterium bei der Beteilung mit jüdischem Besitz galt.

In den Monaten nach dem „Anschluß“ wurden zahlreiche „Arisierungen“ per Annonce in den Zeitungen bekanntgegeben. Manche Tiroler ArbeiterInnen, die der Meinung waren, „daß ein sozialer Jude als Unternehmer besser sei als ein unsozialer Arier“, mußten erst noch in Betriebsappellen bezüglich der ständigen Gefahr „der Juden“ für das deutsche Volkstum aufgeklärt werden. Schon im Juli 1938 wußte die Innsbrucker Gestapo zu berichten, daß „in Bälde damit zu rechnen ist, daß im ganzen Gaugebiet jüdische Geschäfte, gleich welcher Art, entweder überhaupt nicht mehr oder nur in einzelnen Fällen bestehen werden. Widerstände haben sich nirgends ergeben.“ Ein Jahr nach der Machtübernahme der Nazis war die „Entjudung“ der Wirtschaft zum größten Teil abgeschlossen. 54 Handels- und 20 Gewerbebetriebe, also insgesamt 74 Unternehmen, waren betroffen. Beinahe die Hälfte davon (33) wurde stillgelegt. Nur die rentabelsten Betriebe wurden zur „Arisierung“ freigegeben. Diese Ausschaltung jüdischer Konkurrenz entsprach ebenso wie die Überführung jüdischer Betriebe in „arisches“ Eigentum mittelständischen Interessen. Durch die Auflösung jüdischer Firmen, aber auch durch die preisgünstige Übernahme der Warenlager bzw. der Liquidationsmasse generell, konnte die Privatwirtschaft profitieren. Die Nachfrage überstieg das Angebot nicht nur wegen des entgegen aller Propaganda äußerst geringen „Judenbesitzes“ in Tirol beträchtlich. Die wirtschaftliche Substanz vieler jüdischer Geschäfte war äußerst schlecht.

KORRUPTION UND FREUNDERLWIRTSCHAFT

Das Gerangel um ein begehrtes jüdisches Objekt artete in Tirol in arge Cliquenkämpfe aus. Durchsetzen konnte sich, wer die Unterstützung diverser Parteidienststellen und der politischer Hoheitsträger erlangte, vor allem des Gauleiters und seines Arisierungskommissars. Interventionen und Freunderlwirtschaft standen deshalb an der Tagesordnung. Die Aneignung jüdischen Besitzes sahen die einen als „Wiedergutmachung“ für nationalsozialistische Betätigung vor 1938 an, die anderen als willkommene Möglichkeit zur Besitzerweiterung. Die KäuferInnen der kleineren und mittleren Geschäfte waren Einheimische bzw. Südtiroler, die überwiegend aus dem Kreis der „Illegalen“ oder der SS entstammten. Franz Hiebl, der dem „Amt für alte Kämpfer“ der NS-Bewegung vorstand und mit der „Arisierung“ des bekannten Cafe Schindler in der Maria-Theresienstraße selbst kräftig zulangte, hatte sich sehr bemüht gezeigt, daß sein Klientel nicht zu kurz kam. Dabei stand nicht nur der Aspekt der „Wiedergutmachung“ im Mittelpunkt seiner Überlegungen, sondern auch die Vorstellung, mit der Verankerung junger, geschulter Nazis im Tiroler Wirtschaftsleben die Stärke der Partei in Handel und Gewerbe zu heben und diese beim Neuaufbau und der Gleichschaltung dieser Wirtschaftsbereiche in Führungspositionen zu hieven. Das Problem hierbei bestand in erster Linie im Kapitalmangel vieler in Frage kommender ParteigenossInnen. Obwohl Kreditfinanzierungsaktionen mittellose NationalsozialistInnen unter die Arme griffen, rückte bei der Auswahl der KaufwerberInnen die finanzielle Liquidität immer stärker in den Mittelpunkt. In diesem Zusammenhang muß auch erwähnt werden, daß sich reichsdeutsche Konzerne die wenigen großen jüdischen Unternehmen, das waren die Jenbacher Werke (Übernahme durch die Heinkelwerke), das Reuttener Planseewerk (Übernahme durch die Deutschen Edelstahlwerke) und das bedeutendste Kaufhaus Tirols, Bauer und Schwarz, also das heutige Kaufhaus Tyrol (Übernahme durch Kraus & Co) aneignen konnten. Während unter der Innsbrucker Kaufmannschaft sowie den Gewerbetreibenden und Parteimitgliedern der Kampf um die Beute tobte, baute sich Gauleiter Hofer, dem für „wohltätige Zwecke“ ein Fonds zur Verfügung stand, in den alle „kommissarischen Verwalter“ jüdischer Firmen 40% ihrer Bezüge einzahlen mußten, ein Netz von Abhängigkeiten auf. An der Parteibasis schaffte die Arisierungspraxis böses Blut. Zu viele fühlten sich übergangen oder zu kurz gekommen. Neid, Mißgunst, Haß und eine wachsende, mehr oder weniger latente Unzufriedenheit breiteten sich innerhalb der Parteimitglieder aus. An die Futtertröge gelangte jedoch nur, wer über die entsprechenden Beziehungen zur Ausschaltung der MitkonkurrentInnen verfügte. So wird verständlich, daß hohe politische Funktionäre, allen voran der Gauleiter selbst, am staatlich organisierten Raub kräftig verdienten. Die „Entjudung“ der Wirtschaft enthüllt das Tiroler NS-Regime nicht nur als ein barbarisches, sondern auch als ein bis zur Gauspitze hinauf durch und durch korruptes politisches System.

DIE ÜBERTRAGUNG DES LIEGENSCHAFTSBESITZES AN KLAUS HERMANN

Alois Hermann wurde am 10. August 1866 in Wotrub/Böhmen geboren. 1897 übersiedelte er nach Innsbruck. Seine elf Jahre jüngere und vermutlich aus Soubor/Böhmen stammende Gattin Wilhelmine, geborene Vogel, zog im Anschluß an die Vermählung im Jahre 1900 in die Landeshauptstadt. Hermann war Besitzer eines Großhandelsunternehmens, das Liköre, Brannt-, Wermut- und Süßweine, Weinessig, Essigessenzen, Fruchtsäfte und Tee erzeugte bzw. vertrieb. Sein Immobilienbesitz in der Leopoldstraße 28 umfaßte ein Wohnhaus, die Geschäftslokale, ein Stöcklgebäude und eine neu eingerichtete Schnapsbrennerei. Nach der Machtübernahme der NSDAP in Tirol wurden wiederholt SS-Männer bei Hermann vorstellig und forderten namhafte Beträge als „Spenden“ für die SS. Zwei Wochen nach dem „Anschluß“ zog eine SA-Abteilung durch Innsbruck und beschmierte jüdische Geschäfte, darunter auch die Firma Hermann. Die heimischen Zeitungen forderten die Bevölkerung auf, die mit der Aufschrift „Jude“ gekennzeichneten Betriebe zu boykottieren. Im Juli 1938 beschäftigte sich auch das antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer“ mit den Tiroler Verhältnissen. Darin hieß es:

„Sämtliche Judengeschäfte – ohne Ausnahme – sind als jüdisch gekennzeichnet. In jedem Schaufenster prangt groß ein gelbes Schild Jüdisches Geschäft. Der Besucher staunt. Das haben die Tiroler schon in den wenigen Wochen durchgeführt! Und wir im Altreich, wir sind heute noch nicht so weit! In welcher Stadt des Altreiches finden wir eine einheitliche Kennzeichnung der Judengeschäfte? Wohl sind in vielen Städten des Reiches die deutschen Geschäfte kenntlich gemacht. Aber es gibt selbst Städte (darunter sogar einige sehr große und bedeutende), die es nicht einmal so weit gebracht haben. Und was taten die Tiroler? Sie machten ganze Arbeit. Und das Volk dankt es ihnen. Der Tiroler kauft nur beim Deutschen!

Jawohl, das Volk dankt es ihnen. Wir sind stundenlang an den Judengeschäften in der Maria-Theresia-Straße und Museumsstraße zu Innsbruck auf und ab gegangen und sahen nicht einen einzigen Kunden, der sich in die Judenläden verlief. Diese großartigen Erziehungserfolge sind der Aufklärungsarbeit durch die Kreisleitung der NSDAP von Innsbruck und nicht zuletzt dem tatkräftigen Eingreifen des NS-Hago-Leiters Pg. Duxneuner zu verdanken. Tirol ist auf dem besten Wege, judenfrei zu werden. Und wenn dereinst die Meldung durch die deutschen Gaue geht, daß der letzte Jude Innsbrucker Boden verlassen hat, dann feiert ganz Tirol einen Festtag.“

Am 13. April 1938 wurde der „illegale“ Nationalsozialist Pius Martinatti zum kommissarischen Verwalter bestellt. In seiner Arisierungsbewerbung, die als repräsentativ für den politischen Hintergrund Tiroler „Ariseure“ und „kommissarischer Verwalter“ gelten kann, stellte er seine Qualifikationen folgendermaßen heraus: „Politisch habe ich mich von Anfang an rastlos werbend für die Idee Adolf Hitlers betätigt, seit dem September 1933 stehe ich also die ganzen Verbotsjahre über ohne Unterbrechung in den Reihen der SS und bin auch heute aktiv (Scharführer im SS-Sturm 1/I/87).“ Am 30. September 1938 wurde Martinatti jedoch vom Kohlenhändler Alois Mössmer abgelöst, der am 21. Februar 1939 zum Treuhänder der Firma Hermann ernannt wurde. Mössmer war Mitglied der rechtsgerichteten paramilitärischen Organisation „Bund Oberland“, SS-Vertrauensmann, SS-Berichterstatter, SS-Rottenführer, „verdienter Kämpfer“ mit Parteibeitritt 1932 und „Illegaler“, NS-Betriebsrat im Städtischen Gaswerk Innsbruck sowie Geschäftsführer der nationalsozialistischen Handels-, Handwerks- und Gewerbeorganisation (NS-HAGO) in Innsbruck. Als Begründung für seinen frühen Parteieintritt gab er nach 1945 an, daß er sich für seine Kohlenhandlung einen „gewissen Kundenstock“ sicherstellen wollte. Obwohl Mössmer im Betrieb selten gesehen wurde, streifte er ein beachtliches Monatsgehalt von 600 RM ein. Im Vergleich dazu verdiente etwa ein Mittelschullehrer bei der Überstellung ins Beamtenverhältnis rund 350 RM. Martinatti, der im selben SS-Sturm wie Mössmer tätig war, arbeitete nach dessen Weisungen noch bis Anfang 1939 im Betrieb Hermanns. Mössmer führte ab April 1938 über Auftrag der Handelskammer drei Monate lang die Überprüfung der „kommissarischen Verwalter“ der jüdischen Geschäfte in Innsbruck durch. Er verdankte seine Bestellung der Freundschaft zu Arisierungskommissar Hermann Duxneuner. Ganz im Sinne der typischen NS-Freunderlwirtschaft holte sich Mössmer seinen Schulfreund Ignaz Reisigl, ebenfalls ein „illegaler“ Nazi, als Buchsachverständigen in die Firma und bezahlte ihm großzügig 400 RM monatlich. Als rabiater Antisemit hatte Mössmer wenige Stunden nach dem blutigen Innsbrucker Judenpogrom vom 9. auf den 10. November 1938 öffentlich seine Befriedigung über die Geschehnisse, die vier Tote und zahlreiche Schwerverletzte gefordert hatten, ausgedrückt. Er hetzte gegen die Innsbrucker Juden und Jüdinnen, die er als „Schweine“, die „unbedingt einmal weg müssen“, beschimpfte. Anläßlich dieser Ausschreitungen hatte der Betrieb Hermanns einen beträchtlichen Schaden in der Größenordnung von angeblich 10.000-20.000 RM erlitten.

Um seinen Besitz zu retten, übertrug Alois Hermann am 20. April 1938 das Geschäftshaus (Leopoldstraße 28) seinem minderjährigen Enkel Klaus, der nach den „Nürnberger Rassegesetzen“ als sogenannter Mischling 1. Grades („Halbjude“) eingestuft wurde. Seine „arische“ Mutter Martha Wild hatte sich von ihrem jüdischen Ehemann Richard Hermann in Absprache mit ihm am 27. Jänner 1939 scheiden lassen. Nach dem Krieg verehelichten sie sich wieder. Richard Hermann, der bereits vor 1933 seinen mosaischen Glauben aufgegeben hatte, gelang im Frühjahr 1939 die Auswanderung in die USA, wo er sich nach verschiedenen Angestellten- und Vertretertätigkeiten in Trinidad und New York schließlich in Weaverville, N.C., ein Wein- und Biergroßhandelsgeschäft aufbauen konnte und eine Walzmühle betrieb.

Durch Entscheid des Bezirksgerichtes Innsbruck konnte sich Klaus Hermann das Eigentumsrecht am Liegenschaftsbesitz am 25. April 1938 einverleiben. In diesem von Rechtsanwalt Martin Dengg ausgearbeiteten Übergabevertrag verpflichtete sich Klaus Hermann, seinem Großvater die Räumlichkeiten für das Unternehmen zu überlassen und auch etwaigen Nachfolgern dieses Benützungsrecht bis zu seiner Volljährigkeit einzuräumen. Auf diese Weise wurden alle gesetzlichen Bestimmungen des NS-Staates eingehalten. Der Liegenschaftsbesitz konnte für den Enkel als gesichert gelten, nachdem der Vertrag im Sommer 1938 auch in der Vermögensverkehrsstelle Wien auf keinen Widerstand gestoßen war. Dengg hatte in Wien unter Umgehung der Tiroler Instanzen persönlich vorgesprochen und nicht zuletzt auch aufgrund seiner guten Beziehungen Erfolg gehabt. Er erhielt von der Vermögensverkehrsstelle die Bestätigung, daß der Übergabevertrag nicht genehmigungspflichtig war.

Um auch weiterhin eine Beteiligung der Familie Hermann an der Geschäftstätigkeit des Betriebs sicherzustellen, versuchte Rechtsanwalt Dengg die Firma in eine offene Handelsgesellschaft umzuwandeln, in der Alois Hermanns „arische“ Schwiegertochter Martha Wild, sein Enkel Klaus, Firmenangestellte und der „kommissarische Verwalter“ Pius Martinatti als Gesellschafter fungieren sollten. Weiters war geplant, auch den „illegalen“ Nazi Markus Rubatscher in das Konsortium aufzunehmen. Sowohl Martinatti als auch Rubatscher waren Besitzer kleiner, wenig gewinnbringend geführter Betriebe in der Spirituosenbranche, die in die umzuwandelnde Firma Hermann eingebracht worden wären. Alois Hermann hoffte durch eine derartige Verkaufskonstruktion auch den Betrieb wenigstens anteilsmäßig für die Familie retten zu können. Entsprechende Drohgebärden seitens des Arisierungskommissars und der Gauleitung brachten dieses Projekt jedoch zum Scheitern. Jeglicher Versuch des verdienten Nazis Martinatti, sich in den Betrieb billig einzukaufen, scheiterte an der ablehnenden Haltung Duxneuners und Hofers, der keine „Arisierung“ zulassen wollte, die er nicht ausdrücklich vorher gebilligt hatte. Seine massiven Interventionen im Fall Hermann verfolgten aber auch persönliche Ziele, die seine Neigung zu Bereicherung und Korruption offenlegen. Gemeinsam mit dem Gaufachschaftsleiter in der Wein- und Spirituosenbranche Josef Schwarz, Inhaber der Firma Anton Mayr, versuchte er den jüdischen Betrieb zugunsten seines Vaters zu übernehmen. Martinatti beklagte sich bitter, daß verdienten Parteigenossen wie ihm keine Existenzgründung ermöglicht werde, während ein „Geldsack“ wie Josef Schwarz, der mehrere Häuser, eine große Weinhandlung und ein bekanntes Gasthaus besitze, den Vorzug erhalte. Auch die Unterstützung durch den Führer der 87. SS-Standarte in Innsbruck blieb fruchtlos. Dementsprechend wütend reagierte Martinatti:

„Als langjähriger SS-Mann, der während der ganzen Verbotsjahre in vorderster Front für die Bewegung kämpfte, sind mir dabei unheimlich viele Fälle unsauberer Manipulationen untergekommen, daß ich diese direkt als Faustschläge gegenüber jeglichem nationalsozialistischem Denken und Handeln empfunden habe. Ich glaube heute nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht zu haben, diesen Arisierungsfall etwas zu beleuchten und eine strenge Untersuchung zu verlangen, umso mehr als sich im Zuge derselben eine jener, von Gauleiter Bürckel, als eines Nationalsozialisten unwürdig bezeichnete Erpressung großen Stils zum Zwecke der persönlichen Bereicherung abgespielt hat.“

Arisierungskommissar Duxneuner nahm in dieser Angelegenheit eine zwielichtige Rolle ein. Er versicherte Martinatti seiner Unterstützung und setzte nach einer Schätzung des Parteigenossen Birnbaumer einen lächerlich niedrigen Preis von 125.000 RM für den Betrieb fest, den selbst Martinatti als „sehr tief geschätzt“ bezeichnete. Obwohl Martinatti mit Rubatscher und einem weiteren Parteigenossen bereit gewesen war, eine größere Anzahlung zu leisten, beruhigte sie Duxneuner mit dem Argument, daß es vollauf genüge, monatliche Ratenzahlungen in der Höhe von 1.000 RM zu leisten. In Wirklichkeit hatte sich die Gauleitung bereits für eine „Arisierung“ des gesamten Besitzes durch Gaufachschaftsleiter Schwarz entschieden. Bei einer Vorsprache in der Vermögensverkehrsstelle in Wien konnten die „Illegalen“ in Erfahrung bringen, daß Schwarz als „Arisierer“ angemeldet worden war. Für den Betrieb bot Schwarz einen Spottpreis sondergleichen, der auf einem Schätzprotokoll beruhte, das dieser dem Sachverständigen Adolf Zimmermann, NSDAP-Mitglied seit 1932, übermitteln ließ. Zimmermann unterschrieb dieses Schätzprotokoll ungeprüft. Bei einer Vorbesprechung am 27. August 1938 bei Schwarz’ Rechtsanwalt Rudolf Thelen, Parteimitglied seit 1921 und Hauptstellenleiter im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund, verweigerte Alois Hermann die Unterschrift für den bereits vorgefertigten Kaufvertrag in Anwesenheit von Arisierungskommissar Duxneuner. Vor allem Duxneuner und der Innsbrucker Oberbürgermeister Egon Denz, der ehemals Kanzleigesellschafter von Rechtsanwalt Thelen gewesen war, drängten auf einen raschen Abschluß der sich in die Länge ziehenden Verhandlungen. Nachdem Hermann auch ein weiteres fernmündliches Angebot Thelens vom 20. September 1938 ausgeschlagen hatte, wurde er am nächsten Tag im Zuge einer Judenverhaftungsaktion der Gestapo vorgeführt. Diese Verhaftungswelle war von dem nach Innsbruck geeilten SS-Obersturmführer Adolf Eichmann zur Beschleunigung der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung Tirols eingeleitet worden. Eichmann hatte in Wien eine Zentralstelle für jüdische Auswanderung eingerichtet und avancierte sukzessive zum Organisator der Judenvernichtung. Der gemeinsam mit Hermann verhaftete Rudolf Brüll berichtete über die dabei angewandten Praktiken der Gestapo folgendes:

„Wir mußten von 8 bis ca. 11 Uhr sogenannt ‘Mauerstehen’. Dieses besteht darin, daß man in Habt-Acht-Stellung scharf an der Mauerkante, mit dem Gesicht zur Mauer, stehen mußte. Dauernd gingen SS-Leute auf und ab und beschimpften uns. Es ging zu wie in einem Tollhaus. […]. Alois Hermann [72 Jahre], der auf der rechten Seite von mir stand, erhielt während der Zeit, da ich noch wach war, auch einige kräftige Tritte mit Röhrenstiefel ins Gesäß. […]. Hierauf verteilte Ing. Hermann Duxneuner […] an uns Zettel, worauf wir unseren Realbesitz anzugeben hatten […und…] wonach wir den Besitz nur an die von ihm gemeldeten Leute zu verkaufen haben. [Gestapochef Werner] Hilliges und Duxneuner erklärten gemeinsam, wer sich weigere, wird eingesperrt und kommt ins KZ. […]. Alois Hermann weigerte sich zu einem Verkauf mit der Begründung, daß er seinem Enkel (derselbe ist Mischling 1. Grades) bereits den Besitz überschrieben oder übermacht habe und daher nicht mehr darüber verfügen kann. Hermann sen. wurde daraufhin auf Veranlassung von Duxneuner und Hilliges in der ‘Sonne’ in Haft genommen und dürfte sich dort ein bis drei Monate befunden haben.“

Kurz darauf mußte das betagte Ehepaar Hermann nach Wien zwangsübersiedeln. Die Töchter Margarethe (Grete) Graubart und Elisabeth (Else) Kirchlechner wurden ebenso wie Sohn Richard zur Auswanderung gezwungen. Alois und Richard Hermann hatten vergeblich versucht, selbst einen Käufer zu finden, der einen halbwegs angemessenen Preis für die in der Vergangenheit überaus prosperierende Firma zu zahlen bereit war. So waren sie in ernsthaften Verhandlungen mit einem holländischen Unternehmen gestanden, das eine Zweigniederlassung in Düsseldorf unterhielt. Es stellte sich aber sehr bald heraus, daß ein freier Verkauf nicht möglich war. Die Zwangsveräußerung mußte nach dem Diktat der Dienststellen der NSDAP erfolgen. Ende August 1938 verhängte Arisierungskommissar Duxneuner eine völlige Verkaufssperre mit der Begründung, daß es bis zur „Arisierung“ durch das Konsortium um Martinatti nur mehr zwei Wochen dauern würde. Alle Arisierungsversuche Martinattis scheiterten aber an Duxneuner, Hofer und der Vermögensverkehrsstelle, die die Interessentengruppe wegen mangelnder Kapitalausstattung ablehnte. Am 30. September wurde der „kommissarische Verwalter“ Martinatti unter einem Vorwand von Alois Mössmer abgelöst. Duxneuner hatte dem Gauleiter einen Brief geschrieben, in dem er Martinattis Abberufung damit begründete, daß dieser „der Geriebenheit des Juden Hermann nicht gewachsen“ wäre. Empört stellte Martinatti wegen seiner Verdienste um die Partei mit Blick auf Duxneuner fest: „Aber hinterrücks einem Kameraden von 1933 die Ehre nehmen, das kann dieser Kamerad von 1938!“ In der Funktion als neuer Treuhänder fand Mössmer einen stillgelegten Betrieb vor, in dem die Angestellten in erster Linie mit buchhalterischen Aufgaben, Inventarisierungen und der Abwicklung ausstehender Lieferungen betraut waren. Hunderte KundInnen fragten vergeblich wegen neuer Bestellungen an. Kleinere Warenmengen erhielt einige Male über Weisung des Gauleiters der Blutordensträger Franz Hiebl für sein „arisiertes“ Cafe Schindler. Treuhänder Mössmer veranlaßte überdies noch einige Warenverkäufe zu Freundschafts- sprich Schleuderpreisen. In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 überfiel SS die Firma. Fensterscheiben wurden eingeschlagen sowie Fässer und Flaschen zerstört. Der als „Ariseur“ glücklose SS-Scharführer Martinatti beschimpfte seine SS-Kameraden, die er „wilder Verwüstungen“ bezichtigte, als Bereicherungshygiänen“ (meint Hyänen).

Ende 1939 beantragte die Landesinnung die Liquidation der Firma Hermann, in der aufgrund der aufgezwungenen Inaktivität mit Ausnahme eines Angestellten und des Kellermeisters alle Beschäftigten abgefunden und entlassen worden waren. Die von der Vermögensverkehrsstelle mit der Schätzung des Betriebs beauftragte Donauländische Treuhand- und Organisationsgesellschaft hatte aber aufgrund der hervorragenden Firmensubstanz und wegen ihrer modernsten Brennereianlage Tirols, die erst nach dem „Anschluß“ fertiggestellt worden war, eine Liquidation „nur im äußersten Notfall“ empfohlen. Auch die Abteilung „Schönheit der Arbeit“ eine Unterorganisation von „Kraft durch Freude“ innerhalb der „Deutschen Arbeitsfront“ bezeichnete die Brennerei als „mustergültig“ und die sonstigen Eirichtungen des Betriebes als „modern“.

Die Gauleitung war nicht nur daran interessiert, daß ein „Arisierer“ ihrer Wahl zum Zug kam, es ging ihr vor allem um den Zugriff auf den gesamten Besitz der Familie Hermann. Deshalb wurde dem Treuhänder Mössmer mit Otto Ferraris-Occhieppo, der selbst bei mehreren jüdischen Firmen treuhänderisch tätig war, ein Rechtsanwalt zur Seite gestellt, der den Übergabevertrag von Alois Hermann an seinen Enkel Klaus anfechten sollte. Mit seiner Klageinbringung am 9. August 1939 muße er zu beweisen versuchen, daß der Vertrag deshalb rechtlich ungültig war, weil die Liegenschaft, ein dreistöckiges Haus mit sechs Wohnungen und Wohnräumen im Parterre, als Bestandteil des Betriebes anzusehen wäre und deshalb die Genehmigungspflicht der Vermögensverkehrsstelle in Wien benötigte. Der Übergabevertrag vom 20. April 1938 hatte Rechtswirksamkeit erlangt, da entsprechend der NS-Gesetzeslage nichtgewerblicher Liegenschaftsbesitz von den jüdischen BesitzerInnen ohne Genehmigung der arisierenden Verwaltungsbehörden veräußert werden konnte. Deshalb hatten sowohl der Staatskommissar für die Privatwirtschaft für Handel und Gewerbe für Tirol als auch die Vermögensverkehrsstelle in Wien im Mai bzw. September 1938 festgestellt, daß der Übergabevertrag des Alois an Klaus Hermann nicht genehmigungspflichtig war. Da Hofer und Duxneuner keine Garantie hatten, daß die Gerichte den Vertrag für ungültig erklärten, versuchten sie auch außergerichtlich den Druck zu verstärken. Auf diese Weise sollten die Hermanns dazu bewegt werden, entsprechend den Wünschen Hofers einzulenken. Zu diesem Zweck wurde erst einmal der Anwalt der Familie, Martin Dengg, in die Enge getrieben. Dazu Richard Hermann:

„Anläßlich eines meiner Besuche in seiner Kanzlei wurde er vom Gauleiter F. Hofer telephonisch – in meiner Anwesenheit – gewarnt, den Übergabsvertrag, den der Gauleiter als eine Schiebung bezeichnete, rückgängig zu machen und hat gleichzeitig Dr. Dengg und mich mit dem K.Z. bedroht. Dr. Dengg appellierte an mich, daß er eine Familie habe und ersuchte mich, auf Grund der Drohung des Gauleiters, den Vertrag rückgängig zu machen, was ich jedoch ablehnte. (Alle Verhandlungen habe ich im Auftrage und Wissen meines Vaters Alois Hermann geführt und mir dadurch den unversöhnlichen Haß Hofers zugezogen, der dann später nach meinem Verlassen des Landes auf meine Frau Martha und meinen Sohn Klaus übertragen wurde.)“

Hofer zitierte Dengg zu sich und verlangte die sofortige Rücknahme des Vertrages. Er drohte mit empfindlichen Strafen, da derartige Vorgangsweisen als Tarnung jüdischer Bestriebe zu bezeichnen wären. Der Gauleiter wies daraufhin alle Parteidienststellen, Wirtschaftsverbände, Versicherungen, Gebietskörperschaften usw. an, Dengg keine Vertretungen mehr angedeihen zu lassen. Auch private KlientInnen begannen gegenüber Dengg mit der Begründung skeptisch zu werden, er habe keine politischen Beziehungen mehr. „Ich wurde in der Folgezeit im ganzen Lande verschrieen, daß ich Juden tarne und man hat mich gewarnt.“, so Dengg. Unter dem Eindruck der beruflichen Maßregelung riet Dengg seiner Mandantin Martha Wild als Kuratorin für ihren Sohn Klaus zur Aufgabe des Liegenschaftsbesitzes. Er rief sie wiederholt an und legte ihr „dringendst“ nahe, den Vertrag rückgängig zu machen, obwohl er rechtlich zweifellos enwandfrei wäre. Doch dem Druck des Gauleiters könne nicht standgehalten werden, da dieser sein persönliches Prestige in diesem Fall in die Waagschale geworfen habe. Auch der damalige Vormundschaftsrichter Robert Skorpil, der sich zu Frau Wild sehr wohlwollend verhielt, teilte die Meinung Denggs. Dieser eröffnete ihr schließlich, daß „ich keine Chance habe, diesen Prozeß zu gewinnen, obwohl das Recht auf meiner Seite sei. Er betonte, daß kein Richter den Prozeß gegen die Interessen der N.S.D.A.P. und entgegen die persönliche Einflußnahme des Gauleiters Hofer zu meinen Gunsten entscheiden könne“. Dengg hatte vom Prozeßrichter zwar angedeutet bekommen, daß es zu einer Klagabweisung kommen könne, daß aber das Gutachten der Sachverständigen in der entscheidenden Frage, ob der Liegenschaftsbesitz gewerblichen Charakter habe, ausschlaggebend sei. Dazu Dengg: „Im fraglichen Prozeß waren auch Sachverständige von der Gegenseite vorgeschlagen worden, ohne daß wir etwas zu reden hatten und es war nach der Sachlage allgemein anzunehmen, daß auch diese Sachverständigen einem Druck unterliegen würden […].“ Gauleiter Hofer bedrängte auch die Familie Wild beruflich, wo er nur konnte, obwohl Maria Wild, die Mutter Marthas, genauso wie ihr Bruder Mitglied der NSDAP war. Nach einem Gespräch mit ihrem Rechtsberater Theodor Ulm, Gauamtsleiter des Rechtsamtes und Gauführer des NS-Rechtswahrerbundes, drängte sie ihre Tochter dazu, dem Wunsch des Gauleiters zu entsprechen. „Es war so, daß Gauleiter Hofer den Namen Hermann gar nicht mehr hören wollte. Auch mein Mann hatte mit der Partei Schwierigkeiten. Er ist Weinhändler und hat sein Weinkontingent von Italien verloren. Letzteres deshalb, weil wir eben jüdisch versippt waren.“, so Maria Wild nach dem Krieg. Gauleiter Hofer hatte auch alles versucht, um dem als „Mischling 1. Grades“ eingestuften Klaus Hermann entgegen den gesetzlichen Vorschriften den Eintritt in die 1. Klasse der Volksschule Pradl zu verwehren. Erst mit Hilfe ihres Rechtsanwaltes konnte Martha Wild-Hermann die Rechte ihres Sohnes wahrnehmen. Im Reichserziehungsministerium war die Darstellung der Tiroler Schulbehörde als „Unsinn“ abgetan worden.

DIE „ARISIERUNG“ DURCH DIE FAMILIE LAUDA

Aufgrund des Optionsabkommens zwischen Hitler und Mussolini vom 29. Juni 1939, das die zwangsweise Abwanderung der SüdtirolerInnen ins Deutsche Reich zum Inhalt hatte, wurden in Innsbruck Betriebe und Liegenschaftsbesitz für die Wohlhabenden unter ihnen dringend benötigt. Dazu Mössmer: „Es hieß dann, daß die jüdischen Betriebe, die noch nicht in arischen Händen seien, zur Verfügung der Südtiroler-Umsiedlungsstelle stünden.“ Wegen des geringen Anteils jüdischen Vermögens im Tiroler Wirtschaftsleben und der raschen „Entjudung“ nach 1938 kamen dafür nur mehr die Unternehmen Alois Hermann und jenes von Egon Dubsky in der Heiliggeiststraße 2 in Betracht. Rechtsanwalt Leopold Markl, der die Interessen der Südtiroler Familie Lauda vertrat, kontaktierte seinen Kollegen Martin Dengg, mit dem er gute Beziehungen pflegte. Das Verhalten Denggs als Rechtsanwalt der Martha Wild war in der Zwischenzeit widersprüchlich geworden, da er aufgrund der massiven Interventionen des Gauleiters an einem Verkauf des Hermann’schen Besitzes äußerst interessiert war. Dazu kam, dass er pikanterweise auch im „Entjudungsfall“ Dubsky eingeschaltet war, diesmal allerdings auf der Gegenseite als Anwalt des Südtiroler „Arisierers“ Franz Gutmann. Die Rechtsanwälte Dengg und Markl arbeiteten daher in der Geschäftsanbahnung für die Familie Lauda zum Zwecke der „Arisierung“ des Unternehmens Hermann zum gegenseitigen Nutzen zusammen. Markl war ein Duzfreund des Leiters der Südtiroler Umsiedlerstelle, Gauwirtschaftsberater Georg Bilgeri, von dem er den Auftrag erhalte hatte, die Übernahme des jüdischen Betriebs von Alois Hermann an einen Südtiroler namens Reiserer in die Wege zu leiten. Markl unterbreitete dieses Angebot jedoch dem mit ihm befreundeten Adolf Lauda und konnte schließlich Treuhänder Mössmer davon in Kenntnis setzen, daß die Gauleitung Lauda als Käufer akzeptierte. Markl hatte als gerichtlich bestellter Kurator bereits 1939 mit Rechtsanwalt Ferraris-Occhieppo den Kaufvertrag zwischen Margarete Hermann, der Tochter von Alois Hermann, als Besitzerin der Immobilie Gänsbacherstraße 5 und dem Ehepaar Wurmhöringer abgewickelt. In dieser Villa waren Margaretes Ehemann Richard Graubart und Wilhelm Bauer von einem SS-Trupp in der Pogromnacht heimtückisch ermordet worden. Die „Arisierung“ zugunsten von Otto Wurmhöringer, dem Direktor der Innsbrucker Stadtwerke, war weit unter dem tatsächlichen Wert erfolgt.

Die Familie Lauda verfügte über einen respektablen Besitz in Südtirol und Innsbruck. In der Gauhauptstadt besaß sie Häuser in der Speckbacherstraße und Amraserstraße, in Südtirol vier weitere Häuser. Dazu kam noch ein Restaurations- und Pensionsbetrieb in Meran, ein Textil- und Pelzgeschäft in Brixen sowie ein großes Grundstück. Adolf Lauda war 12 Jahre lang Geschäftsleiter und Administrator des katholischen Presse-Vereines in St. Pölten gewesen und in Brixen erst seit 1912 ansässig. Mütterlicherseits lebte die Familie jedoch bereits seit vielen Generationen in Südtirol. Durch die Heirat mit Paula Wachtler übernahm er auch die Führung des alteingesessenen Handelsunternehmens seiner Frau in Brixen. Lauda sen. und sein Sohn Adolf jun. hatten aber einen österreichischen Paß und galten daher seit dem „Anschluß“ im März 1938 als deutsche Reichsangehörige. Lauda jun. ignorierte eine Einberufung zum „Reichsarbeitsdienst“ mit der Begründung, daß er im Geschäft der Eltern unabkömmlich wäre. Da er und sein Vater aber mit dem Inkrafttreten des Optionsabkommens zur Rückwanderung ins Reich verpflichtet waren, ließen sie ihre Beziehungen spielen, um das laufende Verfahren wegen Fahnenflucht zur Einstellung zu bringen. Dies gelang über Vermittlung des Bozner Rechtsanwaltes Robert Helm, der Vertrauensanwalt des deutschen Generalkonsuls Otto Bene in Mailand war sowie mit Hilfe eines Berliner Richters, der öfter zu Gast in Laudas Meraner Pension gewesen war. In der Zwischenzeit suchte Lauda jun. in Innsbruck, wo die Familie gute Geschäftsbeziehungen und über besagten Immobilienbesitz verfügte, nach einem geeigneten Unternehmen zur Teilverlegung der geschäftlichen Tätigkeiten. Lauda sen. verblieb mit seiner Frau in Südtirol und besorgte die Veräußerung des Besitzes, wobei die wirtschaftliche Existenz in Südtirol keineswegs völlig aufgegeben wurde. Seine Frau führte ihr Handelsunternehmen samt einem profitablen Wein- und Obstbauhof weiter. Im korrupten nationalsozialistischen System gelang es den begüterten Laudas sehr rasch, sich die nötigen Verbindungen zu schaffen und sich trotz Nichtparteimitgliedschaft so gut zu arrangieren, daß sie mit Genehmigung der Innsbrucker „Entjudungsstelle“ als „Arisierer“ des Hermann’schen Besitzes auftreten konnten. Wie bereits erwähnt, unterhielt Laudas Anwalt Markl ein freundschaftliches Verhältnis mit dem Leiter der Südtiroler Umsiedlerstelle, Gauwirtschaftsberater Bilgeri, der seinerseits wieder in bestem Einvernehmen mit Gauleiter Hofer stand. Von großem Vorteil für die Laudas erwies sich nicht nur die Beziehungsebene Markl-Bilgeri-Hofer, sondern auch die wohlwollende Unterstützung begüterter SüdtirolerInnen bei der Gründung einer wirtschaftlichen Existenz in Nordtirol durch die NS-Behörden. Desweiteren verfügten sie über die erforderliche kaufmännische Eignung und das nötige Kapital, was ja entsprechend den Richtlinien der obersten Parteistellen bei der „Entjudung“ der Wirtschaft höher zu veranschlagen war als die Verdienste bewährter Nazis ohne solide finanzielle Basis.

Rechtsanwalt Dengg riet seiner Mandantin Martha Wild zu einem Vergleich im laufenden Prozeß. Das Angebot Laudas bezeichnete er als Glücksfall. Angesichts der Möglichkeit des Verlustes der Liegenschaft in der Leopoldstraße beschloß Martha Wild auf das Angebot der Familie Lauda bezüglich eines Immobilientausches samt einer Aufzahlung einzugehen. Ende Jänner 1940 äußerte sie sich zu ihrer Zustimmung folgendermaßen:

„Mein Vertreter Herr Dr. Dengg hat mir eindeutig klar gemacht, daß die Aussichten, den von der Vermögensverkehrsstelle angestrebten Prozeß zu gewinnen, äußerst gering sind. Selbst wenn wir den Prozeß in Innsbruck gewännen, was nach der Haltung des Richters, hier, sehr wohl möglich wäre, würde die Gauleitung, für welche dies bereits eine Prestigesache geworden ist, immer Mittel und Wege finden, um die Angelegenheit in ihrem Sinne zu entscheiden. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, wie schwer mir diese Entscheidung fällt, umsomehr als ich nun 2 Jahre erfolglos darum gekämpft habe.“

Ohne persönlich direkt Druck auszuüben, profitierte die Familie Lauda bei den Verhandlungen mit Martha Wild von den damals herrschenden Verhältnissen. Nur aufgrund der ständigen Pression der Parteidienststellen, der Innsbrucker Arisierungsbehörde unter Duxneuner und „hauptsächlich des Gauleiters Hofer selbst“ war sie schließlich „notgedrungenerweise“ mit dem Vertrag vom 27. Jänner 1940 einverstanden, die Liegenschaft Leopoldstraße 28 mit Laudas Haus Amraserstraße 13 einzutauschen, plus einer Aufzahlung von 90.000 RM, die aber nicht an sie, sondern an den Treuhänder Alois Mössmer überwiesen wurde. Die Verkaufsverhandlungen mit Lauda wurden von Arisierungskommissar Duxneuner geführt, Vertrag und Preis ohne Beiziehung von Martha Wild festgelegt, die rückblickend zu ihrer Unterschriftsleistung feststellte: „Ich hatte keine Wahl – entweder alles zu verlieren – oder den Bettel, den man mir aufdrängte, anzunehmen.“ Der Tausch- und Kaufvertrag vom 27. Jänner 1940 war für die Käuferseite überaus attraktiv. Während des Krieges gab es in Innsbruck kaum Immobilien zu kaufen, weshalb der verbliebene jüdische Besitz eine der wenigen und noch dazu äußerst günstigen Zugriffsmöglichkeiten bot. Auch wer einen dem tatsächlichen Wert entsprechenden Preis zahlte, konnte sich glücklich schätzen, zu diesem Zeitpunkt in Sachwerte investieren zu können. Ende Juni 1939 hatte Baumeister Franz Mader im Auftrag des Arisierungsamtes eine Schätzung des Liegenschaftsbesitzes von Alois Hermann vorgenommen und ohne Einrechnung der alten und neuen Brennereianlage einen Verkehrswert von 250.320 RM festgelegt. Für die Brennerei erhöhte er schließlich noch um 40.000 RM. Nach Einschätzung der Familie Hermann wäre selbst angesichts der staatlichen Zwangspreise damals mindestens das Doppelte zu veranschlagen gewesen. Maders Schätzung berücksichtigte jedenfalls den Ertragswert der Immobilie nicht, was bei Arisierungsschätzungen in Tirol gemäß einer Anweisung Duxneuners die übliche Vorgehensweise war. Jedenfalls war der Verkaufspreis für das Haus Leopoldstraße 28 mit 180.000 RM festgesetzt worden (90.000 RM in bar, 90.000 RM Wert des eingetauschten Hauses Amraserstraße 13) und lag somit sogar noch um 70.000 RM unter der viel zu niedrigen Schätzung Maders. An diesem Tatbestand ändert auch der Umstand wenig, daß die Laudas den zu erzielenden Marktwert ihres Tauschobjektes angeblich um 20.000-30.000 RM niedriger veranschlagt hätten, um Gebühren zu sparen. Sie hatten diese Immobilie selbst sehr günstig in den 30er-Jahren für 90.000 Schilling (60.000 RM) erworben.

Auf ähnliche Weise erfolgte auch die Übernahme des Betriebs, d.h. des Warenlagers sowie der Einrichtungsgegenstände. Der, vorsichtig ausgedrückt, überaus maßvolle Verkaufspreis betrug dabei 155.712, 76 RM. Davon mußten 3.000 RM sofort an die NSDAP, Entjudungsstelle Innsbruck, abgeführt werden. Der Abschluß des Vertrages erfolgte rein rechtlich unabhängig vom ersten, da ja nicht der minderjährige Klaus Hermann, vertreten durch den mütterlichen, „arischen“ Vormund, sondern Alois Hermann der Besitzer des Betriebes war. Auch Hermann sen., der mit Frau und Sohn Richard am 20. Oktober 1938 nach Wien zwangsumgesiedelt worden war, zeigte sich nur in Anbetracht des schweren äußeren Drucks unterschriftsbereit. Zunächst hatte Alois Hermann versucht, dem Drängen Duxneuners entgegen dem Rat seines Anwaltes Otto Zimmeter zu widerstehen:

„Herr Hermann wollte zwar anfänglich dem Verkaufe nicht zustimmen, doch hielt ich als sein Vertreter ihm vor, daß unter den damaligen Verhältnissen ja doch nichts anderes übrig bliebe, als zu verkaufen und ein freihändiger Verkauf für ihn immer noch besser wäre, als vielleicht eine Liquidierung durch die Vermögensverkehrsstelle, zumal das Geschäft Hermann in Innsbruck schon lange Zeit geschlossen war und zu Lasten des Hermann laufend Unkosten aufliefen.“

Adolf Lauda, Mössmer und Duxneuner waren mit einem fertig ausgearbeiteten Kaufvertrag in die Rechtsanwaltskanzlei Zimmeters nach Wien gekommen, ohne daß Hermann auf die Abfassung einen Einfluß gehabt hätte. Sein Einverständnis mit dem Verkauf kam laut Zimmeter auf folgende Weise zustande:

„Hermann widersetzte sich einem Verkauf, worauf ich ihn in ein Nebenzimmer bat und ihm zuredete, die Verkaufsurkunde zu unterfertigen. Ich hielt ihm vor, daß eine Weigerung mit allergrößter Wahrscheinlichkeit seine Deportation und seinen Tod zur Folge haben würde. Nach langem Zureden gelang es mir Hermann umzustimmen, sodaß er schließlich den Verkaufsvertrag unterzeichnete. Wie bereits angeführt, war von Verhandlungen nicht die Rede, sondern mußten die vorgeschriebenen Bedingungen ohne Debatte angenommen werden.“

Der Kaufpreis für den Betrieb umfaßte das Warenlager, die Gebinde, Flaschen und Einrichtungsgegenstände ohne die Debitoren, also die Außenstände zugunsten der Firma Hermann. In einem Anhang zum Kaufvertrag vom 17. Februar 1940 wurde die ursprünglich vereinbarte Summe von 157.257, 19 RM mit der Begründung festgestellter Fehlmengen noch auf 155.712, 76 RM gedrückt. Die Konzessionen, die gesamte Apparatur der Brennerei, die Ausstattung des Dampfkesselhauses und des Laboratoriums gingen unentgeltlich an Lauda. Dem Kaufvertrag lag das im Auftrag der Vermögensverkehrsstelle veranlaßte Gutachten der Donauländischen Treuhandgesellschaft vom 12. August 1939 mit Stichtag 31.5.1939 zugrunde, das auf Schätzungen von Sachverständigen beruhte. Um dieses Gutachten richtig einordnen zu können, ist ein Vergleich mit folgenden Zahlen interessant. Im Juli 1938 hatten der Branntweinhändler Josef Baumann und der Weingroßhändler und Inhaber einer Branntweinbrennerei Adolf Zimmermann als Sachverständige das Warenlager auf über 186.000 RM und die Debitoren auf über 182.200 RM geschätzt. Diese Schätzung war nach Meinung des dritten Sachverständigen um mindestens 200.000 RM zu gering ausgefallen, sodaß er sich weigerte, diese auffällige Unterbewertung mitzuverantworten. Trotz aller widriger Umstände wies die Firmenbilanz mit 15. Oktober 1938 ein Reinvermögen von über 498.500 RM aus und dies, obwohl auch hierbei keine erschöpfende Bestandsaufnahme erfolgt war und sämtliche Sachgüter unterbewertet worden waren. Das Gutachten der Donauländischen Treuhand führte dann für das Warenlager, die Geschäftseinrichtung (ohne Brennerei) und die Kraftfahrzeuge nur mehr einen Wert von knapp 168.600 RM an und sprach von lediglich 55.400 RM Debitorenforderungen. Sie schätzte den Sachwert des Betriebes ohne Brennerei auf unglaublich geringe 287.100 RM. In ihrem Bericht hielt die Treuhandgesellschaft die schlechte Zahlungsmoral der Innsbrucker Geschäftsleute, Gastwirte und Hoteliers fest, die ihre offenen Rechnungen bei der Firma Hermann kaum mehr begleichen wollten: „Maßgebend an dieser Tatsache dürfte die hier übliche Ortsanschauung sein, daß es sich bei der Firma Hermann noch um einen jüdischen Betrieb handelt, dem man nicht sofort zu zahlen braucht.“ Der Sachverständige Benedikt Fritz, der für die Schätzung des Warenlagers für die Donauländische Treuhand verantwortlich war, behauptete nach 1945, daß seine Schätzung der damaligen Preislage entsprochen habe, gestand jedoch ein, daß seine Preisfestsetzungen für die Käuferseite sicherlich günstig gewesen wären, da im Krieg die Preise speziell für Alkohol wegen der Warenverknappung in die Höhe geschossen waren: „Wenn ich die geschätzten Waren zu den Schätzpreisen übernehmen hätte können, hätte ich das als gutes Geschäft betrachtet. Damals sah jedes Kind, daß die Preise weiter ansteigen.“ Während des Krieges stand die Firma Lauda in der Gunst der Partei und konnte sich einige Vorteile verschaffen. Überdies sollen einflußreiche politische Hoheitsträger und der Gauleiter selbst bei Familie Lauda verkehrt und den Umtrunk gepflegt haben. Qualitativ hochwertige Alkoholika, wie sie die von den Laudas „arisierte“ Firma Hermann zu bieten hatte, standen in den Kriegsjahren jedenfalls hoch im Kurs.

DAS SCHICKSAL DES EHEPAARES HERMANN

Das alte Ehepaar Hermann, das nach seiner Zwangsumsiedlung nach Wien im Oktober 1938 in der Alserstraße 23 im 8. Bezirk wohnte, lebte „in den dürftigsten Verhältnissen“. Die Zahlungen aus den Mitteln ihres Besitzes bzw. aus dem Verkaufserlös erreichten sie nur mit großen Verzögerungen. So war Alois Hermann kaum in der Lage, seinen Anwalt zu bezahlen. Treuhänder Mössmer überwies Herrn und Frau Hermann monatlich lediglich 250 RM Unterhalt, den er nach eigenen Angaben aufgrund der Erkrankung von Herrn Hermann auf 600 RM erhöht haben will. Nach Überprüfung der Konten ist diese Schutzbehauptung Mössmers zu widerlegen. An Überweisungen mit dem Titel Unterhalt für Alois Hermann sind 14.600 RM festzustellen. Selbst wenn man einen Betrag für nicht näher definierte „Kosten Hermann“ in der Höhe von 3.800 RM, deren Verwendung unklar ist, miteinbezieht, hat Mössmer der Familie Hermann in den 45 Monaten von der Zwangsumsiedlung nach Wien bis zu ihrem Tod durchschnittlich höchstens 400 RM monatlich zukommen lassen. Im Vergleich dazu ist nochmals daran zu erinnern, daß er selbst für die Verwaltung des Betriebes bis 1942 pro Monat 600 RM kassierte. Die Notlage der Familie offenbart sich in einem an Hermanns Wiener Wirtschaftsberater gerichteten Schreiben im August 1939, in dem er diesen „höflichst“ ersuchte mitzuteilen, ob er „von dem Herrn Treuhänder Kassa erhalten habe und ob es möglich wäre, mir RM 500,- momentan zur Verfügung zu stellen, damit ich das Darlehen, welches mir meine Freunde gewährten, rückerstatten kann.“

Am 28. Oktober 1941 wurde Alois Hermann mit seiner Frau Wilhelmine von Wien nach Lodz (Litzmannstadt) abtransportiert. Er war völlig mittellos und mußte sich deshalb Mitte Dezember 1941 von Polen aus an einen Bekannten wegen eines weiteren Darlehens wenden. In der Textilstadt Lodz war das erste jüdische Ghetto auf polnischem Boden errichtet worden. Dorthin verschleppten die Nazis zunächst die jüdische Bevölkerung der Stadt und der eroberten und ins Reich eingegliederten Ostgebiete, sodann Juden und Jüdinnen aus allen Teilen Goßdeutschlands und schließlich aus ganz Europa. Im Oktober/November 1941 kamen knapp 20.000 Juden und Jüdinnen aus Luxemburg, Prag, verschiedenen deutschen Städten und aus Wien in Lodz an, darunter auch das Ehepaar Hermann. Ein halbes Jahr später waren bereits 6.000 Menschen dieses Transports tot. In dem Stadtteil, in dem sich das Ghetto befand, gab es weder Kanalisation noch sanitäre Einrichtungen. Die Menschen mußten in meist baufälligen Holzhäusern dahinvegetieren. Bereits in der Frühzeit des Ghettos lebten 16.000 jüdische Frauen, Männer und Kinder auf nur vier Quadratkilometer, sodaß jedes Zimmer mit mindestens sechs Menschen belegt war. Es herrschte Hungersnot, Typhus, rote Ruhr und Tbc. Weder gab es ausreichend Heizmaterial noch geeignete Kleidung. Von Anfang an war das Lodzer Ghetto ein riesiges Zwangsarbeitslager, das wichtige Arbeit für die Wehrmacht leisten mußte. Die jüdischen Gefangenen dienten als ArbeitssklavInnen und wurden „nutzbar“ gemacht bis zur „Endlösung“. Wer verbraucht und am Ende seiner Kräfte war, wurde aus dem Ghetto ausgesondert und in ein Vernichtungslager, meist Chelmno (Kulmhof) verschickt, wo die Menschen seit Dezember 1941 in Lastwägen vergast wurden. Nach Angaben von Richard Hermann fanden seine Eltern auf einem dieser Transporte nach Chelmno den Tod. Dies bestätigt auch eine Mitteilung der Gestapo, Staatspolizeistelle Litzmannstadt vom 26. August 1942, nach der Alois Hermann auf einem Transport nach dem Osten umgebracht wurde. Sein Sterbetag läßt sich mit spätestens 9. August 1942, also einen Tag vor seinem 76. Geburtstag, festsetzen. Die 65jährige Wilhelmine Hermann, die man 1948 gerichtlich für tot erklärte, kam entweder im Mai oder im September 1942 ums Leben. Am 22. Juni 1942 schrieben ihre drei Kinder und Enkelkind Vera, die nach England bzw. in die USA fliehen hatten können, bereits vergeblich an die Wiener Anschrift ihrer Eltern: „Liebste Eltern! Wir sind so besorgt, bitte gebt baldmöglichst Nachricht und Adresse. Uns vieren geht es sehr gut. Else, Richard, Grete, Vera.“

DER VERBLEIB DES VERMÖGENS

Von der gesamten Verkaufssumme des Besitzes Hermann gingen 145.000 RM auf ein Konto Leopold Markl bei der CA-Innsbruck, 75.000 RM an ein Hypothekenanstalt-Kaufschillingkonto, ebenfalls auf den Namen Leopold Markl (Sperrkonto „Reichsfluchtsteuer“) und 25.000 RM in bar an Alois Mössmer. Von der Verkaufssumme wurden jedenfalls 125.000 RM für sogenannte Passiva der Firma Hermann gezahlt, darunter fielen u.a. die Kosten für den Bau der neuen Brennerei, die die Laudas kostenlos übernahmen, von Mössmer in Auftrag gegebene bauliche Investitionen, Steuerzahlungen und die Judenvermögensabgabe an das Finanzamt Innsbruck (62.000 RM), die bescheidenen Unterhaltsbeiträge für Hermann und die Anwaltskosten für Martha Hermann. Desweiteren aber auch die Kosten für die diversen Gutachter und Schätzer, Treuhänder Mössmer, dessen Rechtsbeistand Otto Ferraris-Occhieppo, die Reisekosten Mössmers und Duxneuners nach Wien, sogenannte Liquidationskosten usw. Es sind jedoch bei weitem nicht alle Geldflüsse rekonstruierbar, da nach 1945 keine Buchhaltungsunterlagen aus der Zeit der Treuhänderschaft Mössmers gefunden werden konnten. Weitere 95.000 RM der Verkaufssumme plus 10.000 RM, bescheidene Überreste des Firmenbarvermögens, wurden jedenfalls auf Sperrkonten („Reichsfluchtsteuer“) hinterlegt. Diese 105.000 RM, die sich durch Kundeneingänge der ehemaligen Firma Hermann auf knapp 138.000 RM erhöhten, wurden auftrags des Inspekteurs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes der SS, Abwicklungsstelle der Zentrale Wien für jüdische Auswanderung, im September 1942 aufgelöst, auf die Länderbank, Sonderkonto „Judenumsiedlung“, transferiert und zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. Im November 1944 zog die Oberfinanzkassa Innsbruck 30.000 RM ein, die sie auf ein Münchner Konto überwies. Damit hatte der NS-Staat seine übliche Vorgangsweise gewählt: Zugriff auf die Sperrkonten nach Ermordung der rechtmäßigen BesitzerInnen. Neben dem Betrieb und der Liegenschaft gab es aber noch weitere umfangreiche Vermögenswerte der Familie Hermann. Treuhänder Mössmer hatte nämlich beträchtliche Summen in Form von Wertpapieren, Polizzen, Debitoren, Hypothekarforderungen usw. eingetrieben. In welcher Höhe sich die Einbringung dieser Außenstände bewegte, ließ sich nach dem Krieg nicht mehr genau feststellen. Mindestens eine Viertelmillion Reichsmark waren es jedenfalls allein nach Angaben Mössmers. Laut Elisabeth Kirchlechner, der Tochter Hermanns, hatten bereits das Bankguthaben der Firma 163.000 RM und die Hypothekarforderungen 82.500 RM betragen. Der Anwalt der Familie Hermann bezifferte die Realisate für die übrigen Vermögenswerte, die in verschiedenen Kanälen versickert waren oder zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen worden waren, auf eine halbe Million Reichsmark. Er beklagte, daß Mössmer bei der Eintreibung der Außenstände unbegründete Zahlungsnachlässe gewährt und in unbekannter Weise verwendet habe. Vom Besitz und dem Vermögen des Ehepaares Hermann in der Höhe von insgesamt rund 1,3 Millionen RM (heutiger Wert knapp 69 Millionen Schilling) blieb nur das getauschte Objekt Amraserstraße 13 (ca. 4,8 Millionen Schilling) über. Die Gewinne der Laudas nach der Übernahme der höchst profitablen Firma sind dabei in dieser Rechnung gar nicht enthalten.

DAS RÜCKSTELLUNGSVERFAHREN

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches wurde die Firma mit Handelsregistereintrag vom 2. Oktober 1945 unter öffentliche Verwaltung gestellt. Die Familie Lauda konnte den Betrieb weiterführen, allerdings unter der Aufsicht von Albert Hackl. Im Februar 1946 lebte die ganze Befugnisgewalt der Laudas wieder auf. Nach deren gerichtlichen Aussage hielt Landeshauptmann Alfons Weißgatterer fest, daß die Familie mit der NSDAP nichts zu schaffen gehabt habe und daher kein Grund zur öffentlichen Verwaltung bestehe. Dieser Ansicht widersetzte sich die französische Militärregierung, sodaß die Tiroler Landeshauptmannschaft den Industriekaufmann Hermann Flürscheim mit Handelsregistereintragung vom 23. Juni 1947 zum neuen öffentlichen Verwalter ernannte. Er verlangte für seine Tätigkeit kein Honorar, setzte sich dafür aber nicht sonderlich mit dem Unternehmen auseinander, sodaß die Familie Lauda weiterhin nach Belieben schalten und walten konnte. Flürscheim bestätigte selbst, daß er seine Funktion nicht als die eines echten Verwalters gesehen habe. Eine Geschäftstätigkeit im Detail hatte er stets abgelehnt. Am 30. November 1948 leiteten Richard Hermann, Kaufmann in Asheville (New York, USA) und sein minderjähriger Sohn Klaus Hermann, Grete Graubart, Burnham (England) und Else Kirchlechner, Sergeant General, Head Quarters BAOR (Britische Armee am Rhein) das Rückstellungsverfahren ein. Die Rückstellungskommission beim Landesgericht Innsbruck stellte am 14. Juni 1949 in ihrem Teilerkenntnis fest, daß eine Rückstellung des Besitzes von Alois Hermann erfolgen müsse, da „auf jeden Fall gegen Grundsätze der Wirtschaftsethik verstoßen“ worden sei und die Regeln des redlichen Verkehres „nicht voll“ eingehalten worden wären. Dabei blieb die Kommission in ihrer Begründung sehr vage, indem sie unterstrich, daß die Laudas gegen marktwirtschaftliche Grundsätze beim Verkauf nur „etwas verstoßen“ hätten, daß jedoch mit Blick auf andere „Arisierungen“ in Tirol ihre Vorgangsweise „keineswegs den sonst öfters üblich gewesenen Grad erreicht haben mag.“ Die genauen gegenseitigen finanziellen Ansprüche sollten in einem Enderkenntnis nach weiteren Erhebungen geregelt werden. Das Gericht folgte der Argumentation der Laudas insofern, als es finanzielle Abstriche bei den Forderungen der Hermanns empfahl, da die Laudas als Südtiroler Rückwanderer ebenfalls als NS-Opfer zu betrachten wären. Der Rechtsstreit zog sich noch weiter in die Länge, allerdings war unbeschadet des Enderkenntnisses klar, daß die Firma und die Liegenschaft der Familie Hermann rückgestellt werden mußten. Die Familie Lauda setzte nun alle Hebel in Bewegung, um für die Zeit danach vorzusorgen. Als das Unternehmen, das auch nach dem Krieg gut florierte, 1948 wegen der 2. Währungsreform und des geringen Warenbestandes infolge Rohstoffmangels in eine schwierige Lage geriet, konnte Paula, die Frau von Adolf Lauda sen., dem Betrieb wieder zu einer sprunghaften Umsatzsteigerung verhelfen, indem sie ihm aus ihrem Südtiroler Gut 200 hl Wein zukommen ließ. Dadurch förderte sie einerseits ihren Betrieb in Südtirol, andererseits war es zu diesem Zeitpunkt für die Familie Lauda angeraten, die „arisierte“ Firma entsprechend den eigenen Zukunftsplänen noch liquid zu halten, wie weiter unten noch ausgeführt wird. Von Dezember 1949 auf Februar 1950 trat jedenfalls ein „kolossaler“ Umsatzschwund von rund 249.000 auf 20.000 Schilling ein. Laut Untersuchung eines Sachverständigen war dies darauf zurückzuführen, daß dem Unternehmen die entsprechenden Mittel zur weiteren Betriebsführung fehlten. Am 1. Jänner 1950 standen der Firma nur mehr knapp 5.000 Schilling und überhaupt keine Kreditmittel mehr zur Verfügung. Ein Erzeugungs- und Großhandelsbetrieb konnte mit dieser mangelhaften Kapitalausstattung natürlich nicht sein Auslangen finden. Wie war es zu dieser prekären Situation gekommen?

Paula Lauda, die dem Betrieb nach erfolgter „Arisierung“ einen Kredit in der Höhe von knapp 110.000 RM aus Hausverkaufserlösen in Südtirol zur Verfügung gestellt hatte, forderte 1946/47 die Hälfte des Kredits zurück, die zweite Hälfte erhielt sie am 25. Oktober 1949. Dazu kamen offenstehende Rechnungen aus den oben genannten Weinlieferungen in der Höhe von über 162.000 Schilling, die sie sich von der Firma am 13. Dezember 1949 auszahlen ließ. Tochter Leopoldine eröffnete am 2. Jänner 1950 mit einem Bardarlehen der Mutter von rund 395.000 Schilling in den Räumlichkeiten der ehemaligen jüdischen Firma von Egon Dubsky in der Heiliggeiststraße 2 ein Spirituosengeschäft. Alle Vertreter der von den Laudas „arisierten“ Firma Hermann wurden angewiesen, für den Betrieb in der Heiliggeiststraße zu werben und sie auf die besten Lieferbedingungen aufmerksam zu machen. Nach dem Kapitalentzug übernahm die neue Firma Lauda in der Heiliggeiststraße auch den Kundenstock und darüber hinaus auch die Angestellten des alten Betriebs, der vor der Rückstellung an die rechtmäßigen BesitzerInnen der Familie Hermann stand. Dessen äußerst kritische Kapitallage wurde vollends katastrophal, als die CA ihren Kredit, der Ende Dezember 1949 ca. 50.000 Schilling betrug, aufkündigte. Die Bank bestand darauf, daß die Eingänge aus Kundenlieferungen zur Abdeckung des Kredites verwendet wurden. Sie war nicht gewillt, Darlehen an Unternehmen zu vergeben, deren rechtliche Grundlage ungeklärt war. Eine dahingehende Lösung, daß die Familien Lauda und Hermann eine gemeinsame Kredithaftung anstrebten, blieb natürlich ausgeschlossen. Vor einer endgültigen gerichtlichen Klärung im Rückstellungsverfahren war es für die Hermanns zu riskant, eigenes Geld in den Betrieb zu investieren. Anfang 1950 war also die ehemals so florierende Firma Hermann praktisch bankrott, während die „Ariseure“ einen Konkurrenzbetrieb, der alle Trümpfe in der Hand hielt, aufgebaut hatten. Ihr Anwalt machte den Hermanns klar, daß sie „schon jetzt und in Hinkunft mit der schärfsten geschäftlichen Konkurrenz meiner Mandanten zu rechnen haben.“

Nochmals sei darauf verwiesen, daß der ehemalige Anwalt von Martha und Richard Hermann, Martin Dengg, nicht nur in der NS-Zeit, sondern auch nach 1945 die Rechtsvertretung des Südtiroler Weinhändlers Franz Gutmann übernommen hatte. Gutmann war in ein Rückstellungsverfahren verwickelt, weil er die jüdische Spirituosenfirma Dubsky in der Heiliggeiststraße 2 „arisiert“ hatte, in deren Räumlichkeiten die Laudas nun ihren neuen Betrieb transferierten. Angesichts derartiger Verstrickungen wird vielleicht verständlich, warum Dengg nicht bei seiner Aussage vor Gericht im Februar 1946 verblieb. Er unterstrich zu diesem Zeitpunkt noch „den schweren Druck“, dem seine frühere Mandantin Martha Hermann nach 1938 ausgesetzt war und betonte „das in die Augen springende Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung“ bei der „Arisierung“ des Hermann’schen Besitzes. Mehr als drei Jahre später konnte er sich keines aussergewöhnlichen Druckes auf Martha und Klaus Hermann mehr entsinnen.

Doch kehren wir nochmals zur öffentlichen Verwaltung der von den Laudas „arisierten“ Firma des Alois Hermann zurück, die derartige Machenschaften ehemaliger „Ariseure“ eigentlich unterbinden hätte sollen. Bereits am 21. Dezember 1948 hatte sich die Familie Hermann an das Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung gewandt, um Verwalter Flürscheim, dem die erforderliche Sorgfalt bei seiner treuhänderischen Tätigkeit abgesprochen wurde, durch Hans Lechner abzulösen. Die Laudas wurden in diesem Antrag beschuldigt, die Rückstellung solange hinauszuziehen, bis der ganze Betrieb verwirtschaftet wäre. Als sich die Angelegenheit tatsächlich immer mehr in die Länge zog, erfolgte eine Beschwerde über die „lässige Behandlung“ dieses Ansuchens: „Es ist mittlerweile April geworden, ohne daß sich das Vermögensministerium veranlaßt sah, den Antrag vom 21. Dezember 1948 zu erledigen. […]. Daß dies bis heute nicht geschah, läßt darauf schließen, daß die Rückstellungsgegner auch beim Vermögensministerium alle Hebel in Bewegung setzen, um eine Verzögerung dieser Entscheidung herbeizuführen, da sie einen Wechsel des Treuhänders mit Recht fürchten.“ Flürscheim zeigte sich über die Tatsache, daß Paula Lauda dem Unternehmen – völlig legal – Geld entzog, gänzlich uninformiert. Es stellte sich allerdings heraus, daß er über Vermittlung der Laudas ein Grundstück erworben hatte. Diese Nähe wirft natürlich ein ungünstiges Licht auf seine Verwaltungstätigkeit. Erst ein Jahr nach der Antragstellung der Hermanns konnte Lechner mit 21. Dezember 1949 sein Amt als Geschäftsführer aufnehmen. Flürscheim hatte aber weiterhin als Verwalter bei auftretenden Streitigkeiten die letzte Entscheidungsbefugnis inne. Es bedurfte weiterer fünf Monate bis das Bundesministerium für Finanzen Flürscheim endgültig ablöste, da seine Person keine Sicherheit dafür bot, daß, so das Ministerium, „das Vermögen der Firma und ihre Erträgnisse nicht gefährdet bzw. vermindert werden“. Weiters wurde die Fähigkeit Flürscheims angezweifelt, die wirtschaftliche Ausschaltung des Unternehmens durch den Aufbau eines Konkurrenzbetriebs durch die Laudas während des laufenden Rückstellungsverfahrens zu verhindern. Die Erkenntnis der Zentralbehörde kam allerdings zu spät.

Durch den Einsatz von Lechner hatte die Familie Hermann gehofft, im letzten Moment Vorkehrungen zur Verhinderung der restlosen Zerstörung der wirtschaftlichen Basis des rückzuübertragenden Unternehmens treffen zu können. Anfang 1950 konnten jedoch kaum mehr die laufenden Ausgaben gedeckt werden. Der Warenbestand war auf ein Minimum gesunken, der Bestand an Gebinden, Flaschen, Einrichtungsgegenständen etc. hatte sich drastisch verringert. Familie Hermann ging von Wiederanschaffungskosten in der Höhe von 1,1 Millionen Schilling aus, für die die Laudas aufkommen sollten. Es zeigte sich aber rasch, daß die Einflußmöglichkeiten Lechners, um das Ruder noch einmal herumzureißen, äußerst begrenzt waren. Einerseits konnte er wegen des eklatanten Kapitalmangels keine Rohstoffe für die Produktion einkaufen und infolgedessen die Warenbedürfnisse der zur Firma Lauda abwandernden KundInnen nicht mehr befriedigen. Die Aufträge gingen auf die ohnehin große Branchenkonkurrenz über, wobei, so der gerichtliche Sachverständige Josef Sokopf, „sicherlich die der neugegründeten Firma Leopoldine Lauda […] einschneidend gewesen sein dürfte.“ Andererseits wurde Lechner von den Laudas behindert, wo es nur ging. So waren am Tag der Übernahme seiner geschäftsführenden Tätigkeit zwei Büroangestellte und zwei Kellerarbeiter ohne Meldung zur Firma Lauda in die Heiliggeiststraße übergetreten. Die Zusage der Laudas bezüglich einer Bereitstellung von Arbeitskräften für die Inventaraufnahme wurde nicht eingehalten. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen, wobei Lechner seitens der Laudas zu hören bekam, daß „es genüge, das Geschäft so zu führen, daß die Steuerzahlungen jeweils gedeckt werden können.“ Den Vorwurf Lechners, daß absichtlich Warenmangel herbeigeführt worden wäre, konterte Lauda mit der „zynischen Antwort“, er möge sich beim Rechtsanwalt der Familie Hermann einen Kredit holen.

Am 10. März 1951 schlossen die Streitparteien schließlich einen gerichtlichen Vergleich, in dem die ehemalige Firma Hermann so zurückgegeben wurde, „wie sie liegt und steht“, ebenso die Liegenschaft Leopoldstraße 28. Umgekehrt erhielt auch die Familie Lauda ihr Tauschobjekt Amraserstraße 13 zurück. Alle Geldforderungen der Familie Hermann wurden durch einen Betrag von 100.000 Schilling, abzahlbar in Monatsraten zu 5.000 Schilling, abgegolten. Desweiteren übernahmen die Laudas auch die Anwaltskosten der Gegenseite in der Höhe von 80.000 Schilling sowie die Kosten der öffentlichen Verwalter und Sachverständigen. Die erfolgten Rückstellungen waren für die Familie Hermann angesichts ihres Besitzes von 1938 mit hohen Verlusten verbunden. Abgesehen von der erwähnten und als sehr bescheiden einzustufenden Entschädigungssumme von 100.000 Schilling konnte lediglich der Immobilienbesitz gerettet werden. Viele Millionen Schilling aus dem Barvermögen, auf Bankguthaben und sonstige Aktiva waren im Verlauf der „Arisierung“ verloren gegangen, einfach verschwunden oder vom Deutschen Reich konfisziert worden. Die äußerst profitable Firma war hinuntergewirtschaftet und einer mit ihr konkurrierenden Firma Lauda ausgesetzt, die sich in einem unlauteren Wettbewerb eine weitaus günstigere Startposition geschaffen hatte. Eine Fortführung der Firma Hermann war deshalb unrentabel. Die ehemaligen „Arisierer“ schnitten auch bei der Rückstellung nicht schlecht ab. Ihr Haus in der Amraserstraße hatten sie zurückbekommen, während sie sich in der Heiliggeiststraße eine neue Existenzgründung schaffen konnten. Die Geldinvestitionen für die „Arisierung“ bzw. in den Betrieb (knapp 244.000 RM) können auch nicht als verloren angesehen werden. Die Familie Lauda konnte alle Mieterträgnisse von der Übernahme im Februar 1940 bis 31. Dezember 1950 behalten, ebenso die mehr als respektablen Firmengewinne und die sonstigen Entnahmen. So belief sich der Reingewinn der Firma laut Steuerbilanz allein bis 1947/48 auf knapp 711.000 RM. Dazu kommen noch bis 31. März 1948 aus dem Unternehmen gezogene Bar- und Sachentnahmen in der Höhe von mehr als 272.000 RM.