Doppelte Pflichten für „stille Heldinnen”: Tiroler Frauen im Ersten Weltkrieg

Überwiegend aus: Alexander/Schreiber u.a., Schwaz. Der Weg einer Stadt, 1999
Horst Schreiber

Der Krieg brachte in Hinblick auf geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Rollenverständnisse einschneidende Veränderungen mit sich. Frauen erhielten ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Verantwortung zugewiesen, ihre Tätigkeiten verlagerten sich vom privaten in den öffentlichen Bereich, so dass traditionelle Geschlechtsrollenbilder ins Wanken gerieten. Nach anfänglich hoher Frauenarbeitslosigkeit stieg die Frauenerwerbstätigkeit stark an, die Frauen mussten die eingezogenen Männer ersetzen und deren Arbeitsplätze einnehmen. Auch die Handlungsmöglichkeiten in der Familie wurden durch die Abwesenheit des männlichen Familienoberhauptes größer. Die Kehrseite dieser „Emanzipation auf Leihbasis” war aber, dass diese scheinbar emanzipatorische Entwicklung den Frauen vor allem Zwänge und Belastungen aufhalste. In einer eigenen Rubrik „Für die Frauenwelt” rief die Presse den Frauen immer wieder ihre neuen Pflichten ins Gedächtnis und forderte sie auf, sich in die „Riesenaufgaben unter den schwierigsten Verhältnissen” hineinzufinden. Denn, „wo ein fester Wille vorhanden ist und dazu das ‚Muß’ als Lehrmeisterin, da lernt man schnell”:

„Auf den Frauenschultern liegt ein großer Teil der Kriegsarbeit. Das Volk und die maßgebenden Stimmen sind schon längst darin einig, daß ohne die zurückgebliebenen, sorgenden Frauen ein Durchhalten im Kriege unmöglich wäre. Wie viele Frauen stehen jetzt großen geschäftlichen Unternehmungen vor, während ihre Gatten draußen mit der Waffe in der Hand den heimatlichen Herd schützen. Der Mann schirmt draußen das Haus, die heimatliche Scholle, gegen die von außen drohende Gefahr, die Frau hingegen erhält das vom Manne Geschaffene daheim.” [1]

Erzwungener Arbeitseinsatz

Der Arbeitseinsatz der Frauen beruhte teilweise auf Zwang. Ihre Erwerbstätigkeit beschränkte sich auf bestimmte Branchen und Sektoren, denn sie hatten dort zu arbeiten, wo der Krieg eine Nachfrage schuf. Hervorzuheben sind auch schichtspezifische Unterschiede. Am stärksten belastet waren die Arbeiterinnen und verarmte Frauen aus der Mittelschicht, die in Industrie und Gewerbe in die Bresche sprangen und unter den katastrophalen Arbeitsbedingungen, wie Aufhebung der Sonntagsruhe und des Nachtarbeitsverbotes, der Nichtbezahlung von Überstunden bei Erhöhung der Arbeitszeit auf bis zu 13 Stunden täglich, massiven Unfallraten und dem Anstieg von Fehlgeburten und Krankheiten wie Ausbleiben der Menstruation zu leiden hatten. Besonders gesucht waren weibliche Bürokräfte, nachdem ein eklatanter Beamtenmangel aufgetreten war. Die Präsenz der Frauen im Berufsleben veränderte das äußere Erscheinungsbild der Tiroler Städte sehr. „Der Krieg erschließt den Frauen immer neue Gelegenheiten zur Entfaltung ungewohnter Tätigkeit. Jetzt gibt es in Tirol auch schon eine Schornsteinfegerin”, meldete die Presse. [2] Die alte Welt und ihre festgefügte Ordnung waren augenscheinlich durcheinandergeraten.

Für die Bäuerinnen bedeutete der Krieg insofern einen geringeren Einschnitt in ihre Lebenswelt, als sie traditionell viel Außenarbeit mit den Männern geleistet hatten. Nun mussten sie aber unter großem Arbeitskräfte-, Futtermittel- und Düngemittelmangel mit Kindern und Greisen die Ernte einbringen: „Diese Schwierigkeiten bereiten jeder Landfrau viele sorgenvolle Stunden, viel Jammer und Leid. Doch sie trägt es mit Ergebung, mit Würde und Kraft, denn sie will des Gatten Werk fortführen, den Kindern die geliebte Heimat erhalten und auch dem Vaterlande Dienste leisten.” [3]

Bürgerliche Frauen wurden gedrängt, ehrenamtliche Arbeiten zu übernehmen. Darunter verstand man Verwundetenversorgung, die Betreuung der Familien Eingerückter und Kinder von Arbeiterinnen, Arbeitsvermittlung von Frauen, Lebensmittelausgabe, Bezugsscheinausgabe, hauswirtschaftliche Aufklärungsarbeit, Fürsorgearbeit wie die Sammlung und Herstellung von Liebesgaben für die Front usw. Viele Bürgersfrauen arbeiteten für das Rote Kreuz, das einen „Patriotischen Hilfsverein” gegründet hatte. Gerade das Verhalten vieler bürgerlicher Frauen war gekennzeichnet von einer starken Identifikation mit den gegebenen Verhältnissen bis hin zu einer Opferbereitschaft, die an Selbstaufgabe grenzte. Subjektiv hatten sie das Gefühl, dem Allgemeinwohl öffentlich sichtbar zu dienen, gegenüber den Arbeiterinnen hatten sie an faktischer Macht gewonnen. Ihr Benehmen wurde von Proletarierinnen nicht selten als demütigend empfunden. Diese ehrenamtlichen Tätigkeiten wurden nach dem Krieg zu einem umfassenden Fürsorgewesen ausgebaut und institutionalisiert. Die neuen Berufsbilder waren mit der traditionellen Frauenrolle vereinbar, in ihnen konnten bürgerliche Frauen die „Mütterlichkeit” nach außen tragen und so als Frau den Zugang zur Öffentlichkeit erreichen. Dafür mussten sie sich als staatliche Kontrollorgane zur Verfügung stellen und eine Fürsorge ausüben, die selektierte, brandmarkte und auf die zu Versorgenden hinunterblickte.

Dass Frauen ihrer Mutterrolle weiterhin in optimaler Weise nachzukommen hatten, wurde als selbstverständlich angenommen. Wofür Frauen vor 1914 vergebens gekämpft hatten, erhielten sie nun kriegsbedingt zugestanden: das Recht auf die Vormundschaft über die eigenen Kinder. Daraus wurden allerdings auch verstärkte Pflichten abgeleitet, wozu die Presse bemerkte:

„Den Kindern gegenüber hat die Mutter jetzt doppelte Pflichten. Gilt es ja doch, ihnen den fehlenden Vater zu ersetzen! Bei den vielerlei Anforderungen des Tages soll sie noch Zeit finden, sich den Kindern zu widmen, auf ihre kleinen Freuden einzugehen, ihre Bekümmernisse zu teilen, ihre Entwicklung zu beobachten und allzu große Freiheitsgelüste der heranwachsenden Knaben zu bekämpfen (…) und diese Erziehungspflicht darf den anderen Pflichten nicht nachgestellt werden.” [4]

Wie die Frauen, v.a. Arbeiterinnen, deren Kriegsalltag darin bestand, das Überleben im Hinterland zu organisieren, die Zeit und Muße aufbringen sollten, verriet die Presse nicht. Dabei wurde von ihnen noch verlangt, ihr Leid beim Tod des Vaters, Sohnes und Partners als „stille Heldinnen” ohne Klagen zu ertragen und das ganze Elend, mit dem fertig zu werden die Menschen von Kaiser und Vaterland im Stich gelassen wurden, lindern zu helfen: „Ist in einer Familie Leid und Trübsal eingekehrt, so wird sie als Frau am besten den Ton treffen, um der trauernden Mitschwester Hilfe und Trost bringen zu können.” Die Presse empfahl den Frauen, Kraft im Gebet und Gottesvertrauen sowie in der Aussicht auf das erfolgreiche Kriegsende zu tanken:

„Und kommen auch manchmal Stunden der Mutlosigkeit, wo sie glaubt, unter der Last zusammenbrechen zu müssen, so wird ihr glaubenstarker Ausblick zum Vater der Welten Trost bringen. Das beglückende Bewußtsein, daß ihr Durchhalten und ihr freudiges Ausharren auf schwerem Posten gekrönt sein wird von dem endlichen ruhmreichen Siege, wird ihr über schwere Stunden hinweghelfen.” [5]

Sie sollte ihre Erfüllung im aufopferungsvollen Dienen und einem späteren „stillen häuslichen Glück” suchen, das völlig im Widerspruch zum Alltag der Frauen und den mannigfachen öffentlichen Aufgaben, die sie ausfüllten, stand. Folgendes Sprüchlein wurde Frauen mitten im Krieg ans Herz gelegt:

„Willst du glücklich sein im Leben,
Trage bei zu anderer Glück,
Denn die Freude, die wir geben,
Kehrt ins eig’ne Herz zurück.” [6]

Widerstand, Hungerdemonstrationen, Arbeitsniederlegungen und Frauenwahlrecht

Dennoch waren es schließlich Frauen, d.h. Arbeiterinnen, die als erste und am nachhaltigsten ihre Kritik am Krieg äußerten und Protestaktionen v.a. gegen die Hungersnot organisierten, die sie als Ernährerinnen der Familie doppelt hart traf. Dabei ist zu bedenken, dass bereits 1916 etwa im Bezirk Schwaz durchschnittlich jedes sechste Kind im ersten Lebensjahr starb. [7] Lautstarke Vorsprachen bei den Behörden, Hungerdemonstrationen, Arbeitsniederlegungen, Protestmärsche sowie Plünderungen und Frauen”kriminalität” als Ausdruck der Selbsthilfe zur Existenzsicherung der Familie waren besonders ab 1917 in Tiroler Städten an der Tagesordnung.

Am 23. Juni 1917 marschierten viele Tabakarbeiterinnen zum Schwazer Stadtmagistrat, um wegen der lückenhaften Versorgung selbst bei den allernotwendigsten Lebensmitteln vorzusprechen. Die Hälfte der Bevölkerung bekam nun überhaupt kein Fleisch mehr zugewiesen. [8] Den Arbeiterinnen war es unmöglich geworden, sich und ihre Familien auch nur halbwegs durchzubringen. Unterernährung und Tuberkulose machten sich in erschreckendem Maße bemerkbar. Das demonstrative Auftreten der Frauen wurde seitens der Behörde als Folge von Verhetzung ausgelegt, besonders nachdem eine der Sprecherinnen der Stimmung unter der oft hungernden ArbeiterInnenschaft Ausdruck verliehen hatte: „Es sind Lebensmittel in Schwaz, die nicht zur allgemeinen Verteilung gelangen; es geht das Gerücht um, daß Vorräte an einzelne Herrschaften heimlich abgegeben werden.” Der Schwazer Bezirks-Anzeiger nahm die Arbeiterinnen gegen die heftige Reaktion der Stadtverantwortlichen in Schutz, indem er das unerträglich gewordene Hungerproblem und die krass ungleiche Nahrungsmittelverteilung zwischen den sozialen Schichten ansprach und festhielt: „Die Fabriklerinnen in Schwaz sind nicht als Revolutionäre bekannt, sie wollen sich nichts Ungerechtes erpressen, sondern nur ihr notwendiges Auskommen verlangen.” [9]

1918 waren die Schwazer Tabakarbeiterinnen bereits wesentlich kämpferischer. Am 6. Mai kam es in der Fabrik zu einer Arbeitsverweigerung und anschließenden heftigen Tumulten. Die Gründe lagen in den schlechten Arbeits- und Ernährungsverhältnissen der Frauen und der überaus harten Betriebsführung durch Direktor Franz Wieser. Die Verbitterung gegen die Unternehmensleitung, die kein Verständnis aufbrachte gegenüber den eingeforderten Teuerungszulagen, dem Wunsch nach verbesserten Arbeitszeiten oder der Frage der Wiederanstellung kriegsinvalider Arbeiter, hatte mit der zunehmenden Hungerplage von Monat zu Monat zugenommen. Bereits im Oktober 1917 war bestimmt worden, dass Frauen und Kindern kein Tabak mehr ausgehändigt werden durfte. [10] Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Tabakkauen und Rauchen längst zu einem wichtigen Mittel im Kampf gegen den Hunger entwickelt.

Wie liefen nun die Ereignisse am 6. Mai 1918 im Detail ab? Nachdem aus der Pölzbühne von Unbekannten eine große Menge Tabak entwendet worden war und sich die Diebstähle kleinerer Mengen Tabak in der Fabrik häuften, um sie gegen Lebensmittel einzutauschen und Angehörige an der Front zu versorgen, schritt Direktor Wieser zu härtesten Maßnahmen. Die Arbeiterinnen wurden Leibesvisitationen unterzogen, es wurden Hausdurchsuchungen vorgenommen und häufig Verhaftungen durchgeführt – dies alles auch bereits bei bloßem Verdacht auf Diebstahl. Insgesamt wurden an die 120 ArbeiterInnenhaushalte polizeilich mit aufgepflanztem Gewehr durchsucht. Verhaftete Arbeiterinnen mussten sich strengsten Verfahren unterziehen, bis sie andere Frauen nannten, die irgendwann Tabak entwendet haben sollten. Trotz Protesten des Bürgermeisters bestimmte der Direktor die Entlassung aller arretierten Arbeiterinnen, darunter auch Wöchnerinnen, ob ihre Schuld nun erwiesen war oder nicht. Die Festnahmen häuften sich derart, dass am Vormittag des 6. Mai die gesamte Belegschaft, 89 Männer und 682 Frauen, ihrer Verbitterung freien Lauf ließ und die Arbeit niederlegte. Vor allem Frauen stürmten daraufhin die Direktionskanzlei, wo es zu tätlichen Auseinandersetzungen mit dem Betriebsleiter kam. Dabei wurde die Einrichtung in Mitleidenschaft gezogen, auch Fensterscheiben gingen zu Bruch, so dass Direktor Wieser Gendarmerie und Militärassistenz anforderte. Ein in Zivil auftretender Finanzwachebeamter, der in der Fabrik als Geheimdetektiv aufgetreten war, wurde ebenso wie ein Gendarm, der die Verhaftungen vorgenommen hatte, regelrecht aus dem Betrieb „hinausgefegt”. Der Schwazer Gendarmerieposten wusste Folgendes zu berichten:

„Dem Direktor wurde der am Leibe getragene Frack in Fetzen zerrissen. Derselbe wurde bis zum Eintreffen des Bezirkswachtmeisters R. bedroht und mißhandelt und bot, da er am Oberkörper nur mehr das ihm zerrissene Hemd anhatte, eine traurige Figur. Die Arbeiterschaft hatte das Bestreben, den Direktor am Boden aus der Fabrik zu schleppen (…). Um dies zu verhindern, war die Patrouille bzw. R. gezwungen, mit blanker Waffe die Arbeitermasse vom Direktor fern zu halten. (…) Das Erscheinen der Militärbereitschaft entfesselte einen ganzen Sturm der Entrüstung und wurde die Bereitschaft über Drängen der Arbeiterschaft vom Fabrikshof entfernt und vor der Fabrik aufgestellt und 10 Mann davon zum Schutze der Gerichtsarreste abkommandiert, da gewaltsame Angriffe gegen die Arreste, in denen sich verhaftete Fabriksarbeiterinnen befanden, mit Grund befürchtet wurden. Die Gendarmerie wurde mit den Rufen – Abzug, geht’s ins Feld etc. – empfangen (…).” [11]

Die Arbeiterinnen stellten eine Verhandlungsdelegation auf, die ihre Forderungen dem herbeigeeilten Regierungsvertreter und später dem Abgesandten der Generaldirektion darlegten. Der Aufstand war schließlich durchaus von Erfolg gekrönt. Mit Ausnahme der strafgerichtlichen Verfolgung einiger „Rädelsführerinnen” erhielten die am Kanzleisturm Beteiligten ebenso Straffreiheit wie die Arbeiterinnen, die in Verdacht des Tabakdiebstahls standen. Direktor Wieser wurde nach Wien versetzt, und die Nahrungsmittelrationen wurden durch die Ausgabe von wöchentlich 200 Gramm Polenta, 60 Gramm Butter und einem halben Kilo Fleisch für jede Arbeiterin verbessert. Ein Großteil der Arbeiterinnen, die diesen Arbeitskampf geführt hatten, gehörte christlich-sozialen Organisationen an. Ungeachtet ihrer politischen Ausrichtung hatten sich christlich-soziale und sozialdemokratisch eingestellte Frauen gemeinsam für eine Verbesserung ihrer Situation eingesetzt. [12]

1918 erhoben sozialdemokratisch gesinnte Frauen neben dem Insistieren auf bessere Arbeitsbedingungen und mehr Nahrungsmittel verstärkt die Forderung nach dem Frauenwahlrecht und einem raschen Kriegsende („Brot und Friede”). In einer sozialdemokratischen Frauenversammlung am 2. Februar 1917 in Innsbruck wurde die Regierung aufgefordert, „ihre Bemühung, zu einem ehrenvollen Frieden zu gelangen, fortzusetzen.” Die aus Wien angereiste Adelheid Popp erntete mit ihrem Plädoyer für die Politisierung und den Zusammenschluss von Frauen zur Durchsetzung ihrer Rechte lebhaften Beifall. [13]

Nach dem Ersten Weltkrieg konnte Frauen das Wahlrecht nicht mehr vorenthalten werden. Auch die konservative Presse betonte, dass sich die Frauen dieses Recht angesichts ihrer Leistungen in den Kriegsjahren verdient hatten. Der „Tiroler Anzeiger” stellte dazu fest: „(…) hätte uns vor vier Jahren jemand gesagt, daß nach dem Kriege auch die Frauen als Gleichberechtigte an die Wahlurne schreiten würden, so hätten wir ihn sicherlich als restlos reif für Hall erklärt.” [14]

Der Krieg hatte die Frauen sozusagen mit Gewalt ins Freie gestoßen, die Mitbestimmungs- und Handlungsmöglichkeiten erweitert und die traditionelle Frauenrolle aufgebrochen. Doch sehr bald sorgte eine über die Parteigrenzen hinaus geschlossene Männerfront für die Zurückdrängung von Frauen aus dem Erwerbsleben zugunsten der Kriegsheimkehrer. Bereits 1915 hatte die konservative Presse bemerkt: „Hoffen wir, daß bald, ja recht bald, der Frieden wiederkehrt und Schillers Worte ‚Drinnen waltet die züchtige Hausfrau’ wieder voll und ganz zur Geltung kommen.” [15]

Besonders die katholische Kirche und die christlich-soziale Partei bzw. die Tiroler Volkspartei strebten mit einer ideologischen Gegenoffensive und frauendiskriminierenden Politik nach einer Wiederherstellung der patriarchalen Vorkriegsordnung. Der Appell an die Religiosität, das Hochhalten der christliche Ehe und Familie sowie die mythische Überhöhung der Mütterlichkeit als naturbestimmter Frauenrolle waren daher wesentliche Ansatzpunkte der konservativer Wahlwerbung um die Frauen und im Kulturkampf der Ersten Republik um das vorherrschende Frauenbild.

„Wie müßte es dir, christlicher Vater, christliche Mutter ums Herz werden, wenn die Feinde der Kirche siegten und die Religion, das Bild des Gekreuzigten, den Priester aus der Schule verbannten, und du müßtest dir sagen: Auch durch meine Schuld? Müßte dir der Gedanke von der Mitschuld nicht wie Feuer auf die Seele brennen? Und wie könntest du, christliche Jungfrau, die du einst an den Traualtar zu treten gedenkst, deine Stimme einem sozialdemokratischen oder ‘freiheitlichen’ Kandidaten geben, die für die sogenannte Ehereform sind? Du willst doch eine christliche, unauflösliche Ehe eingehen? (…). Laß es dir gesagt sein, was Christus erklärt: ‚Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich.’” [16]

Nach Austrofaschismus, Nationalsozialismus und der konservativen Restauration nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es schließlich erst der Neuen Frauenbewegung in den 1970er Jahren die patriarchale Gesellschaftsordnung in Tirol und Österreich nachhaltig zu erschüttern. Das Ende geschlechtsspezifischer Benachteiligung ist aber noch lange nicht in Sicht.


[1] Schwazer Bezirks-Anzeiger, 5.6.1915, S. 5. Siehe generell Horst Schreiber: Für Gott, Kaiser und Vaterland: Schwaz im Ersten Weltkrieg 1914-1918, S. 23-46, in: Schwaz. Der Weg einer Stadt, hrsg. von Horst Schreiber/Helmut Alexander u.a. (Redaktionsleitung Horst Schreiber), Innsbruck 1999.

[2] Schwazer Bezirks-Anzeiger, 3.7.1915, S. 9.

[3] Ebd. 5.6.1915, S. 5.

[4] Ebd.

[5] Ebd.

[6] Ebd. 1.1.1916, S. 12.

[7] Matthias Rettenwander: Stilles Heldentum? Wirtschafts- und Sozialgeschichte Tirols im Ersten Weltkrieg, Innsbruck 1997 (Tirol im Ersten Weltkrieg 2), S. 274.

[8] Auszug aus der Gendarmeriechronik Schwaz, 23.6.1917. Stadtarchiv Schwaz, Stadtchronik Schwaz.

[9] Schwazer Bezirks-Anzeiger, 7.7.1917, S. 4.

[10] Ebd. 20.10.1917, S. 4.

[11] Auszug aus der Gendarmeriechronik Schwaz, 6.5.1918. Stadtarchiv Schwaz, Stadtchronik Schwaz.

[12] Werner Hanni, Zur Geschichte der Arbeitskämpfe in Tirol und Vorarlberg von 1870-1918, phil. Diss. Innsbruck 1983, S. 338f.

[13] Volkszeitung, 4.2.1917.

[14] Zit. nach Agnes Kinigadner-Eberharter: Tiroler Anzeiger – Volkszeitung und die Situation der Frau im Tirol der Zwischenkriegszeit, Diplomarbeit Innsbruck 1988, S. 11. In Hall befindet sich das Landesnervenkrankenhaus.

[15] Schwazer Bezirks-Anzeiger, 16.10.1915, S. 5f.

[16] Ebd. 15.2.1919, S. 3.