Innsbruck 1938-1945. Eine Einführung

Die Machtübernahme in Innsbruck

Aus: Innsbruck 1938-1945. Vom Anschluss bis zum Kriegsende. Ein Begleitheft zur Dauerausstellung „Einblicke in die Stadtgeschichte“ im Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck (= Zeit – Raum – Innsbruck. Schriftenreihe des Innsbrucker Stadtarchivs 3), Innsbruck 2003. Dort auch die Fußnoten
Horst Schreiber

Die Machtübernahme der NSDAP, die als dreifacher Prozess zu verstehen ist, erfolgte von „oben“ als scheinlegale Machtübernahme, von „unten“ als pseudorevolutionäre Machtergreifung und von „außen“ als imperialistische Intervention und außenpolitische Erpressung.

Die Kapitulation von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg vor Adolf Hitler im Abkommen von Berchtesgaden am 12. Februar 1938 zwang Österreich, seine Außen-, Wirtschafts-, Militär- und Pressepolitik mit Deutschland abzustimmen, Nationalsozialisten wurden in die Regierung aufgenommen. Das Abkommen wirkte sich demoralisierend auf die AnhängerInnen des Schuschnigg-Regimes aus, während die nationalsozialistische Bewegung ungeheuren Auftrieb erhielt. Dies spiegelte sich in zahlreichen Aufmärschen in ganz Tirol und besonders in Innsbruck wider. 3.000 teils bereits uniformiert auftretende TeilnehmerInnen, die zu Ehren des neuen nationalsozialistisch gesinnten Innenministers Arthur Seyß-Inquart am 20. Februar 1938 in Innsbruck einen Festumzug abhielten, demonstrierten öffentlich ihre Stärke und ihr enorm gestiegenes Selbstbewusstsein. Auf eine Aussöhnung mit der in die Illegalität getriebenen ArbeiterInnenbewegung unter Herstellung eines breiten Bündnisses gegen die NS-Gefahr verzichtete Schuschnigg. Stattdessen flüchtete er sich in einen Scheinrausch falschen Heldenpathos („Rot weiß Rot bis in den Tod!“) und kündigte am 9. März im Innsbrucker Stadtsaal eine Volksbefragung für den 13. März an, in dem sich die Bevölkerung zu einem freien und deutschen, unabhängigen und sozialen, christlichen und einigen Österreich bekennen sollte. Daraufhin begann das Deutsche Reich gewaltigen Druck auf die Bundesregierung auszuüben. Bereits am 10. März arbeitete der Generalstabschef des deutschen Heeres Einmarschpläne für den 12. März aus und in ganz Österreich starteten die Nazis Massenaufmärsche. Die Mehrheit der Bevölkerung war noch unentschlossen und bereit, in die Richtung zu schwenken, von der anzunehmen war, dass sie die Oberhand behalten würde. Als die NationalsozialistInnen am 10. und 11. März auf die Straßen strömten, rissen sie das Gesetz des Handelns an sich und es stellte sich heraus, wie wenig die Repräsentanten des austrofaschistischen „Ständestaates“ im Ernstfall dem einheimischen und ausländischen Aggressor entgegenzusetzen hatten. Das System zeigte sich wie gelähmt, spätestens seit den frühen Morgenstunden des 11. März kann man in Tirol infolge dieses Machtvakuums von einer Art Doppelherrschaft sprechen.

Das Zentrum der NS-Demonstrationen am 11. März, welche die Absage der Volksbefragung zum Ziel hatten, lag natürlich in Innsbruck. Um neun Uhr früh starteten die NationalsozialistInnen ihre Aktionen in Form „lebhafter Bummel“. In diversen Lokalen sammelten sich die Parteiformationen und hielten sich in Bereitschaft. Als die NS-Umtriebe immer augenscheinlicher wurden, riegelte die Exekutive die Zugänge und die Umgebung des Landhauses ab und sperrte die Maria-Theresien-Straße, wobei sie zwei Maschinengewehre vor der Annasäule und der Herzog-Friedrichstraße aufbaute. Kurz vor Mittag begannen SS- und SA-Formationen die Straßensperren zu durchbrechen. Der SA-Sturm 6 marschierte singend von der Meranerstraße in die Maria-Theresien-Straße, der SA-Sturm 3 sprengte die Absperrung beim Burggraben und der SS-Studentensturm zog in Halbuniform vom Einfahrtstor des Gasthauses Breinößl in der Maria-Theresien-Straße los. Als die NS-Kampfformationen die spanischen Reiter und die Polizeiketten durchbrachen, gab es auch Verletzte, ein SS-Mann wurde durch einen Säbelhieb verwundet. Die Polizei zog sich aber sehr bald zurück, ohne von ihren vorhandenen Machtmitteln Gebrauch zu machen.

Im Gegensatz zu den Nazis fehlte dem „Ständestaat“ der Wille durchzugreifen. Der Rückzug der Exekutivbeamten führte der Innsbrucker Bevölkerung die Schwäche des Regimes offen vor Augen. Die Nazis, die nun die Hauptstraße Innsbrucks unter Kontrolle hatten, durften jetzt allmählich damit rechnen, dass die Mehrheit der Bevölkerung in ihr Lager, also in das des offenbar Stärkeren, überwechseln würde. In der Tat verstärkten immer mehr Menschen die NS-Formationen. Gemeinsam wurde nun die Absetzung des „Volksverräters“ verlangt und Kampfparolen, die auch auf mitgebrachten Transparenten zu sehen waren, gerufen: „Alles für Österreich – Ohne Schuschnigg“, „Ein Volk – Ein Reich – Ein Führer“ oder „Diese Wahl – ein Skandal“. Zur Sicherung des Landhauses forderte Landeshauptmann Josef Schumacher gegen 12 Uhr das Militär an. Die anrückende Einheit des Jägerregiments erwies sich aber bereits nicht mehr als 100%ig zuverlässig und soll zum Teil nur noch widerwillig dem Ansuchen der Landesregierung nachgekommen sein.

An der Tiroler Grenze wurden bis zum späten Nachmittag mehrere deutsche Regimenter zusammengezogen, Waffen- und Munitionstransporte erreichten Garmisch, Kiefersfelden und Mittenwald. Die nationalsozialistisch gesinnten Regierungsmitglieder Seyß-Inquart und Edmund Glase-Horstenau drohten Schuschnigg im Falle der Abhaltung der Volksbefragung deutsche Truppen zu Hilfe zu rufen. In der Zwischenzeit erhielten die NS-Demonstrationen, die als inszenierte Aktionen begonnen hatten, durch ihren Durchbruch in die Maria-Theresien-Sstraße immer mehr Eigendynamik. Weitere SA- und SS-Stürme strömten in die Innenstadt. Aus einem Fenster des Gasthofs „Alt-Innsprugg“ in der Maria-Theresien-Straße, wo im ersten Stock die Gauleitung provisorisch untergebracht war und die DemonstrantInnen via Lautsprecher über die Ereignisse in Wien informiert wurden, wehte bereits eine Hakenkreuzfahne. Gauleiterstellvertreter Egon Denz schickte vom Fenster aus die NS-Formationen auf Propagandamärsche durch die ganze Stadt, nirgendwo stießen die Nazikolonnen auf Widerstand. Eine Anordnung der Polizei, die bereits überfüllte Maria-Theresien-Straße zu räumen, wurde nach einem Protest von Denz wieder zurückgenommen.

Gegen 14 Uhr traf schließlich Gauleiter Edmund Christoph von Wien kommend ein. Die Machtübernahme in Tirol lief nach keinem detaillierten Plan ab, die Gauleitung improvisierte. Christoph mahnte die DemonstrantInnen Disziplin zu halten, bald darauf konnten NS-Formationen als Hilfspolizisten agieren. SA und SS sollten mit weißen Binden als eine Art Ortswehr für „Ruhe und Ordnung“ sorgen. Immer mehr Hakenkreuzfahnen schmückten die Häuser und Fenster der Maria-Theresien-Straße, die Innenstadt erscholl von „Heil Hitler“-Rufen, während die gewaltige Menschenmenge das Deutschlandlied oder das Horst-Wessellied anstimmte, wenn der Lautsprecher im Fenster des Gasthauses Alt-Innsprugg nicht gerade deutsche Marschlieder spielte. Gegen 16 Uhr marschierte eine riesige Menschenmenge, in der die NS-Formationen unschwer zu erkennen waren, vom Innrain über den Marktgraben und die Museumstraße zur Salurnerstraße. Zum abgeriegelten Landhaus gelangte sie aber indes noch nicht. Angesichts dieser Lage war schon gegen 16 Uhr nach Berlin gemeldet worden, dass Innsbruck „in der Hand der Nationalsozialisten“ wäre. In welch aufgelöstem und unkoordiniertem Zustand sich die Sicherheitskräfte befanden, geht schon daraus hervor, dass der Innsbrucker Polizeipräsident und der Kommandant der Polizeitruppe bei Denz erschienen, um den Stand der Dinge zu erfragen, da sie selbst keine Weisungen aus Wien hatten. In der Bundeshauptstadt überstürzten sich inzwischen die Ereignisse. Bereits um 14 Uhr 45 hatte Seyß-Inquart die Absetzung der Volksbefragung durch Bundeskanzler Schuschnigg, der auch zum Rücktritt bereit war, nach Berlin melden können. Um 18 Uhr akzeptierte der Bundespräsident den Rücktritt Schuschniggs, er verweigerte aber noch die vom Deutschen Reich geforderte Ernennung des Nationalsozialisten Seyß-Inquart zum Bundeskanzler.

Als das Radio um 19 Uhr die Absage der Volksbefragung und den Rücktritt des Kabinett Schuschniggs bekannt gab, kannte der Jubel auf den Straßen Innsbrucks kein Ende und die eigentliche Machtübernahme begann. Zur selben Zeit verließ Landeshauptmann Schumacher das Landhaus. Teile der Polizei waren bereits übergelaufen und versahen ihren Dienst schon mit der NS-Binde. Als um 20 Uhr 30 der Befehl Seyß-Inquarts aus Wien zur Machtübernahme eintraf, hielten sich Gauleiter Christoph und sein Stellvertreter Denz am Innrain auf. Sogleich versuchten sie sich durch die Menschenmassen zum Landhaus durchzuschlagen, doch als sie gegen 21 Uhr dort ankamen, war die Besetzung des Landhauses durch den Führer der 8. SS-Standarte, Erwin Fleiss, bereits erfolgt. Nach der Rundfunkansprache Schuschniggs um 20 Uhr, in der dieser jeden Widerstand des österreichischen Heeres bei einem eventuellen Einmarsch deutscher Truppen untersagte, um kein „deutsches Blut“ zu vergießen, war Fleiss auf eigene Faust initiativ geworden. Er hatte ohne auf Widerstand zu stoßen nach dem Rückzugsbefehl von Landesstatthalter Andreas Gerber, der als einziger Repräsentant der Landesregierung im Landhaus geblieben war, gegen 21 Uhr die Hakenkreuzfahne von einer Dachluke des Gebäudes gehisst. Eine Stunde bevor Bundespräsident Wilhelm Miklas Seyß-Inquart zum neuen Bundeskanzler ernannte und ungefähr zur gleichen Zeit, als Hitler den Einmarschbefehl gab, hatten die Tiroler Nazis bereits in Innsbruck die Macht an sich gerissen. Gauleiter Christoph setzte daraufhin Egon Denz als Innsbrucker Bürgermeister ein und verständigte fernmündlich die illegalen Kreisleiter, die Bezirkshauptmannschaften zu übernehmen. Die Exekutive unterstellte sich „widerspruchslos und willig“. Gegen 23 Uhr verkündete Christoph vom Landhaus aus der Menge die Übernahme der Funktion des Landeshauptmannes. Seine Rede schloss er mit den Worten: „Wir sind stolz und glücklich darüber, unserem geliebten Führer unser Heimatland Tirol als die schönste Perle, den Garten Deutschlands, zu Füßen legen zu können.“ In der Folge brüsteten sich die Tiroler Nazis damit,

„daß diese faktische Machtübernahme in Innsbruck und damit im damaligen Gau Tirol allen anderen Landeshauptstädten vorausgeeilt war. Es steht heute fest, dass nirgends sonst der Durchgriff gegen die staatlichen Machtmittel mit solch entscheidender Durchschlagskraft gelungen war, wie in Innsbruck […]. Mochte auch bis dahin der Schwerpunkt im Kampf um die Erringung der Macht in anderen Teilen der Ostmark gelegen sein, am entscheidenden Tage stand Innsbruck zeitlich an der Spitze und trieb die Entwicklung vorwärts.“

Es muss jedoch betont werden, dass die NS-Bewegung in Innsbruck bei der Machtübernahme zwar als eigenständiger Faktor in Erscheinung getreten und die Infiltration staatlicher Apparate, Ämter und Behörden weit fortgeschritten war, doch ohne die innere Aushöhlung des „Ständestaates“, der die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung schon längst verloren hatte, und die Kapitulation in Wien vor der militärischen Bedrohung von außen, hätte sie das politische System nicht stürzen können.

Trotz des problemlosen Machtwechsels wurde der Terrorapparat des Nationalsozialismus von allem Anfang an in Bewegung gesetzt. In den ersten Stunden und Tagen des Machtwechsels kam es zum Teil zu wüsten Ausschreitungen und Verhöhnungen, Gegner des Nationalsozialismus wurden verprügelt. Sofort mit der Machtübernahme begannen SA, SS, Gestapo und eine willfährige Exekutive im Schatten des Jubels mit ihren echten und vermeintlichen GegnerInnen aufzuräumen und mehrere hundert Menschen in Haft zu nehmen. Leider liegen uns derzeit gerade die Zahlen für die Landeshauptstadt Innsbruck nicht vor. Der aufgestaute Hass der vor dem März 1938 „illegalen Nazis“ führte zu ausgeprägten Rachebedürfnissen, die endlich ausgelebt werden konnten. So sorgte etwa der wegen seiner NS-Betätigung aus dem Polizeidienst entlassene Gustav Walter in seiner neuen Funktion als Kommandant der Innsbrucker Stadtwache für eine Verhaftungswelle unter jenen Kollegen, die er als „Systemanhänger“ beschimpfte und von denen nicht wenige in ein KZ überstellt wurden. Auch wenn die neuen Machthaber einen großen Teil der Festgenommenen nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuß setzten, kamen 63 Tiroler bereits aufgrund der Arretierungen in dieser frühen Phase mit den ersten beiden Transporten im Mai und Juni 1938 ins KZ Dachau. 45 von ihnen stammten aus Innsbruck. Beim Abtransport aus der Landeshauptstadt wurden die Gefangenen bespuckt, verhöhnt und geschlagen.

Die Volksabstimmung am 10. April 1938

Um den politischen „Umbruch“ sowie die staatsrechtliche Eingliederung Österreichs ins Deutsche Reich nachträglich zu legitimieren und der Weltöffentlichkeit vor Augen zu führen, dass kein Akt der Aggression vorlag, veranlassten die neuen Machthaber die Durchführung einer Volksabstimmung, in der sich die ÖsterreicherInnen zum „Anschluss“ an das Deutsche Reich bekennen sollten. In diesem Sinne sollte der Anschlusstaumel genützt und der Bevölkerung eine Demonstration der Macht von Partei und Staat geboten werden. Wer unter die Bestimmungen der Nürnberger Rassegesetze fiel oder als RegimegegnerIn im Zuge der Machtübernahme verhaftet worden war, durfte nicht wählen.

Die Generallinie des totalen Wahlkampfes bestand einerseits in der Betonung der NS-Erfolge in Deutschland und andererseits in der Hervorhebung tirolspezifischer Propagandainhalte. Besonders unterstrichen wurden Heimat und Brauchtum, die „heldenhafte“ Tiroler Landesgeschichte und die Rolle des Nationalsozialismus als Vollstrecker des verhinderten Anschlussgedankens sowie des Judentums als Feindbild. Auf Konfliktthemen wie Südtirol oder die Kirchenfrage wurde nicht eingegangen, generell verpasste sich das NS-Regime ein versöhnliches Image. Die Propaganda wandte sich zielgruppenbezogen an die einzelnen Berufssparten und Bevölkerungsschichten, im Mittelpunkt stand die Gewinnung der konservativ-bäuerlichen Landbevölkerung und der ArbeiterInnenschaft, denn Intelligenz, Mittelstand und Industrielle standen bereits mehrheitlich im nationalsozialistischen Lager.

Großangelegte Aufbauprogramme und Entschuldungsaktionen für die darnieder liegende Landwirtschaft wurden ebenso angekündigt wie ein umfangreicher Katalog von Projekten und Vorhaben, mit denen die drückende Arbeitslosigkeit beseitigt und die miserable soziale Lage der ArbeiterInnen verbessert werden sollte. Bereits im April 1938 war ein Viertel der arbeitslos Gemeldeten in den Arbeitsprozess wieder eingegliedert worden. Viele „Ausgesteuerte“ erhielten wieder Arbeitslosengeld. Tausende Kinder und Hunderte ArbeiterInnen konnten öffentlichkeitswirksam kostenlos „zu den Brüdern ins Reich“ fahren. Die Einführung von Kinderbeihilfen, Ehestandsgeldern, freiwillige Lohnerhöhungen, öffentliche Ausspeisungen und ein generelles Pfändungs- und Versteigerungsverbot verfehlten nicht ihre Wirkung auf viele ArbeiterInnen, die jahrelang unter bitterer Not gelitten hatten.

Neben einer auf Hochtouren laufenden Propagandamaschinerie beeindruckte im katholischen Tirol die „Feierliche Erklärung der österreichischen Bischöfe“, in der diese „aus innerster Überzeugung und mit freiem Willen“ den sozialen Charakter des Nationalsozialismus lobten und sich ausdrücklich zum „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland bekannten: „Am Tage der Volksabstimmung ist es für uns Bischöfe selbstverständlich nationale Pflicht, uns als Deutsche zum Deutschen Reich zu bekennen, und wir erwarten auch von allen gläubigen Christen, daß sie wissen, was sie ihrem Volke schuldig sind.“ Diese Erklärung wurde von allen Kanzeln verlesen und von den Nazis in einer Auflage von 75.000 Stück in ganz Tirol verteilt. Die Wahlempfehlung von Karl Renner, des ersten Staatskanzlers der Ersten Republik und Gallionsfigur der seit 1934 verbotenen Sozialdemokratie, nutzte den Nazis in Kreisen der ArbeiterInnenschaft.

Der absolute Höhepunkt der Propagandaschlacht war der perfekt inszenierte Besuch Adolf Hitlers am 5. April in Innsbruck. Jeder Handlungsablauf war genauestens durchorganisiert: der Kundgebungsort und seine Ausgestaltung, Musik, Licht, Schmuck, Massenaufzüge etc. Die ganze Stadt wurde zu einem Werbeträger und einem faschistischem „Gesamtkunstwerk“. Die Häuser und Straßen der Gauhauptstadt waren nach genauesten Anweisungen beflaggt, die EinwohnerInnenschaft stadtteilweise an bestimmte Plätze zur Spalierbildung abbeordert. Ganz Innsbruck präsentierte sich eindrucksvoll im farbenprächtigen Festtagskleid, während aus ganz Tirol 150.000 Menschen an diesem 5. April, der arbeits- und schulfrei war, mit rund 100 fahrplanmäßigen Zügen, 40 Sonderzügen und 600 Autobussen und Lastwagen angereist kamen. Wesentlich für die Einstimmung der Massen war die Musik. Bereits um die Mittagsstunden befanden sich zehntausende Menschen in einer fiebernden Stimmung, als Kampflieder der Bewegung zu hören waren und Musikkapellen in Tiroler Trachten durch die Stadt marschierten. Die Bauern und Bäuerinnen waren in ihren traditionellen Festkleidern gekommen.

Alle Glocken der Stadt verkündeten um 18 Uhr die Ankunft Adolf Hitlers mit seinem Tross am Innsbrucker Hauptbahnhof, in dem sich u.a auch der Reichsführer SS Heinrich Himmler befand. Nach den üblichen durchinszenierten Begrüßungszeremonien, diesmal mit Schützenkompanien als Tiroler Spezifikum, begab sich Hitler gegen 19 Uhr ins Landhaus, wo er unter anderem von 60 Hitler-Pimpfen mit „hellen Fanfarenklängen“ feierlich empfangen wurde. Nach den unverbrüchlichen Treueschwüren der Gauleitung, die dem „Führer“ Tirol zu Füßen legte, erhielt Hitler als Geschenk eine Mappe mit einer Dokumentensammlung der Abstimmung von 1921, bei der sich damals eine große Mehrheit der TirolerInnen für die Angliederung an Deutschland ausgesprochen hatte. Anschließend begab er sich in einem nächtlichen Triumphzug durch Innsbruck in die Ausstellungshalle. Auf der Nordkette brannten hunderte Bergfeuer, riesige glühende Hakenkreuze in mehr als 2.000 Meter Höhe erleuchteten die Stadt, über die unterhalb des Brandjochs ein eineinhalb Kilometer langer und fast 100 Meter hoher Schriftzug „Ein Volk – Ein Reich – Ein Führer“ flammte. In der mit 8.000 Menschen zum Bersten vollen Ausstellungshalle hielt Hitler seine Rede, die an verschiedenen Plätzen und Straßen Innsbrucks per Lautsprecher als Radiosendung übertragen wurde. Allein am Adolf-Hitler-Platz vor dem Landestheater hörten ihn an die 10.000 begeisterte TirolerInnen, die mithalfen, auch den Rückweg Hitlers in sein Hotel in eine „via triumphalis“ zu verwandeln.

Am Sonntag den 10. April ging das Plebiszit ohne besondere Vorkommnisse über die Bühne. In Innsbruck fand bereits um sieben Uhr das „große Wecken“ statt. Nachmittags durchzogen Gruppen der Hitlerjugend mit Liedern und Sprechchören die Stadt und riefen die NachzüglerInnen zur Urne. Vor Schließung der Wahllokale wandten sich Lautsprecherwagen an die letzten Säumigen. Die Landeshauptstadt war an diesem Tag übersät mit Plakaten, Sprechbändern, Fahnen, Hakenkreuzen und Grünschmuck. Auch die Kirchen wurden mit Hakenkreuzfahnen beflaggt. Der massive Einsatz von Musikkapellen und Trachtenaufmärschen unterstrich den Festcharakter. In den Wahllokalen hingen Führerbilder, die, so der NS-Journalist Heinz Cornel Pfeiffer, die ankommenden WählerInnen mit der stummen Frage in den Augen anblickten: „Bist du – Volksgenosse – für mich oder gegen mich? – Bist du ein Deutscher oder ein Verräter am Deutschtum?“ In dieser gehobenen und für KritikerInnen bedrohlichen Stimmung schritten die InnsbruckerInnen zur „Wahl“, bei der ihnen folgender Text vorgelegt wurde: „Bist Du mit der am 13. März vollzogenen Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich einverstanden und stimmst Du für die Liste unseres Führers Adolf Hitler?“

Von den 46.620 Stimmberechtigten gaben in Innsbruck 46.027 Menschen ihre Stimmen ab (98,73%). 53 Wahlzettel waren ungültig (0,12%). 45.686 InnsbruckerInnen votierten mit JA (99,37% der gültigen Stimmen), 288 mit NEIN (0,63%). Die Anzahl der gültigen JA-Stimmen war in allen Tiroler Bezirken mit der deutlichen Ausnahme Osttirols eine Nuance höher als in Innsbruck. In der Landeshauptstadt gab es außer in Osttirol auch die meisten NEIN-Stimmen. Neben dem Bezirk Bregenz wies Innsbruck österreichweit den höchsten Anteil an NichtwählerInnen auf (1,27%). An der Wahl nicht teil zu nehmen, war die gefährlichste Form der Resistenz, weil so die Verweigerung der Zustimmung zum „Anschluss“ am öffentlichsten kund getan wurde.

„Wahlkampf“ und Wahlvorgang sprachen demokratischen Prinzipien zwar Hohn, von Wahlbetrug kann man aber nicht generell sprechen. Für das Zustandekommen des Wahlresultats sind trotz so mancher Pannen die ausgeklügelte Propaganda, deutschnationale Traditionen, Hitlermythos und nationalsozialistische Überzeugung, Gesinnungsterror, subtiler Druck und Einschüchterung, verschönernde Berichtigungen der Stimmlisten, vereinzelt offene Abstimmungen, wirtschaftliche Verbesserungen und Versprechungen, oder die Unterstützung durch die Bischöfe und Karl Renner anzuführen. Mindestens sieben Prozent der Stimmberechtigten waren aus politischen und rassischen Gründen das Stimmrecht entzogen worden. Dennoch: alles in allem gesehen ist fest zu halten, dass die Bereitschaft für den politischen Wandel und das nationalsozialistische Experiment in weiten Teilen der Innsbrucker Bevölkerung 1938 sehr groß gewesen war.

Die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung

Als die Nazis die Macht übernahmen, trafen sie auf eine kleine jüdische Gemeinde, deren Mitglieder bis auf wenige Ausnahmen in Innsbruck lebten. Die Innsbrucker Juden und Jüdinnen waren nach 1867, als das Ansiedlungsverbot durch das Staatsgrundgesetz aufgehoben worden war, aus allen Teilen der österreichisch-ungarischen Monarchie, v.a. aus Böhmen, Mähren, der Slowakei und Galizien, in die Tiroler Landeshauptstadt gezogen. Die meisten waren Handwerker, kleine Gewerbetreibende und Kaufleute, vereinzelt aber auch Ärzte und Anwälte. Die wichtigsten jüdischen Handelsgeschäfte befanden sich in der Innenstadt, allen voran das Kaufhaus Bauer & Schwarz in der Maria-Theresien-Straße, das als größtes Kaufhaus Tirols Innsbrucks Handel entscheidend modernisierte. Allerdings verfügten viele jüdische Geschäfte über eine sehr geringe Betriebssubstanz. Nicht wenige jüdische Familien waren arm und auf Unterstützungen der wohlhabenden Gemeindemitglieder bzw. jüdischer Wohltätigkeitsvereine wie „Chewra Kadischa“ angewiesen.

Die Innsbrucker Juden und Jüdinnen lebten weitgehend an ihre nicht-jüdische Umgebung angepasst und verstanden sich als Tiroler PatriotInnen bzw. als InnsbruckerInnen jüdischen Glaubens. Nur wenige Familien lebten streng religiös. Mehrheitlich konservativ ausgerichtet, war die jüdische Kultusgemeinde politisch heterogen, sodass sich in ihren Reihen auch Linke, Liberale und Großdeutsche befanden. Viele der männlichen Mitglieder hatten im Ersten Weltkrieg an der Front gedient, hohe Auszeichnungen für ihre Tapferkeit erhalten und waren auch für „Gott, Kaiser und Vaterland“ als Kaiserjäger und Kaiserschützen gefallen. Die jüdische Gemeinde in Innsbruck hatte Kriegsanleihen gezeichnet und dabei fast ihre gesamten Ersparnisse verloren, sodass der geplante Neubau einer Synagoge aufgegeben werden musste. Einige Juden zählten in Innsbruck zu den Gründungsmitgliedern örtlicher Vereine, allen voran der bedeutende und langjährige liberale Gemeinderat Wilhelm Dannhauser, der federführend beteiligt war, den Innsbrucker Turnverein ins Leben zu rufen. Die zunehmend antisemitische Grundstimmung ab Ende des 19. Jahrhunderts sorgte für eine Betonung jüdischer Identität bei einer Minderheit, vornehmlich innerhalb der Jugend, unter der die Idee des Zionismus zunehmend Anklang fand. Doch auch wenn einige nach Palästina emigrierten, dachten vor 1938 nur wenige an eine Auswanderung. Anlässlich der Volkszählung 1934 hatten sich 365 Personen in Tirol zum jüdischen Glauben bekannt. Auf Grund der Einführung der „Nürnberger Rassengesetze“ mussten sich über 300 weitere TirolerInnen als „Volljuden“ oder „Mischlinge“ deklarieren, die schon längst zu einem anderen Glauben übergetreten waren oder sich nie als „Juden“ gefühlt hatten. Zum Zeitpunkt des „Anschlusses“ galten in Tirol 585 Personen als „Volljuden“ und 176 Menschen als „Halbjuden“ oder „Mischlinge 1. Grades“. Damit sind derzeit 761 TirolerInnen als potentielle Opfer rassischer Verfolgung bekannt.

In der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 besetzten Truppen der SA die Tiroler Grenzen, um u.a. die Ausreise der jüdischen Bevölkerung zu vereiteln. In Folge mussten alle Juden und Jüdinnen ihre Reisepässe abgeben. Vorerst gab es zwar nur wenige Verhaftungen, doch wurden mehrere Juden und Jüdinnen in den Selbstmord getrieben. Kurze Zeit konnte die Kultusgemeinde ihren Glauben noch relativ ungestört ausüben, ihre Dokumente und Matrikelbücher musste sie aber sogleich an den Innsbrucker Magistrat abgeben. Bereits in den ersten Tagen und Wochen wurde jüdischer Liegenschaftsbesitz und sonstige Vermögenswerte von SA, SS, Gestapo und Gendarmerie beschlagnahmt. Dabei bereicherten sich Mitglieder dieser Beschlagnahmungskommandos derart schamlos, dass dies selbst den staatlichen NS-Behörden zu weit ging. In den Genuss des jüdischen Liegenschaftsbesitzes kamen in erster Linie die Parteiorganisationen, der Rest wurde dem Land Österreich übereignet. Die 17 konfiszierten jüdischen Autos behielten sich Gestapo, SS, SA und HJ als Dienstfahrzeuge. Die korrupten Spitzen der Partei hielten sich persönlich an jüdischen Wohnungen, Häusern und Villen schadlos.

Die erste Phase antijüdischer Maßnahmen war gekennzeichnet von der Anwendung aller nur erdenklichen Druckmittel zur Ausgrenzung, um die Innsbrucker Juden und Jüdinnen zur Auswanderung zu zwingen. Schritt für Schritt erfolgte ihre Ausschaltung aus dem öffentlichen Leben und die Entziehung ihrer Existenzgrundlagen. Berufsverbote, Entlassungen, Vertreibung von den Schulen und Universitäten sowie eine Flut diskriminierender Anordnungen, Erlässe und Gesetze sollte es ihnen unerträglich machen, in Innsbruck zu bleiben. Jüdische Geschäfte wurden in Innsbruck von der SA beschmiert und boykottiert. Dies führte zu gewaltigen Umsatzeinbußen. Jüdische Geschäftsleute mussten ihren Besitz offiziell anmelden, dann erfolgte die Entscheidung, ob der Betrieb „arisiert“ oder liquidiert wurde. Die NS-Behörden setzten „kommissarische Verwalter“ ein, die nicht selten die Betriebe aus Eigennutz oder Unfähigkeit in den Ruin trieben. Die jüdischen EigentümerInnen hatten kein Recht mehr auf den Reingewinn, die Verluste mussten sie jedoch weiterhin tragen. Zwischen dem „Ariseur“ und den EigentümerInnen wurde unter dem Druck der Gestapo ein Kaufvertrag abgeschlossen. Der Kaufpreis lag nicht zuletzt durch die Heranziehung willfähriger Gutachter weit unter dem realen Wert und machte zumeist weniger als die Hälfte des Betriebsvermögens aus. Doch selbst diesen Betrag bekamen die jüdischen FirmeninhaberInnen nicht. Das Geld kam auf ein Sperrkonto, von dem hohe Fantasiesteuern wie die Judenvermögensabgabe oder die Reichsfluchtsteuer abgezweigt wurden. Die „Arisierung“ kam für die jüdischen BesitzerInnen daher zumeist einer entschädigungslosen Enteignung gleich. Sie erhielten lediglich Beiträge ausbezahlt, die zur Bestreitung des allernotwendigsten Lebensunterhaltes und für die Auswanderung unabdingbar waren. Die Ausreise selbst hatte praktisch den völligen Vermögensverlust zur Folge. Die Innsbrucker Juden und Jüdinnen, denen die Ausreise bis Kriegsbeginn am 1. September 1939 nicht mehr gelang und die auch in der Folge nicht fliehen konnten, wurden deportiert und ermordet. Das auf den Sperrkonten liegende jüdische Vermögen wurde zugunsten des Deutschen Reiches nach der Tötung oder der Flucht der rechtmäßigen InhaberInnen beschlagnahmt.

Ein Jahr nach der Machtübernahme der NSDAP war die „Entjudung“ der Wirtschaft fast zur Gänze abgeschlossen. 54 Handels- und 20 Gewerbebetriebe, also insgesamt 74 Unternehmen, wurden „entjudet“, beinahe die Hälfte davon (33) stillgelegt. Nur die rentabelsten Betriebe waren zur „Arisierung“ freigegeben worden. Die Nachfrage überstieg das Angebot wegen des entgegen aller Propaganda äußerst geringen „Judenbesitzes“ in Tirol beträchtlich. Deshalb kam es zu heftigen Auseinandersetzungen unter Gewerbetreibenden und Parteimitgliedern um die jüdische Beute. Die NSDAP und die Parteiführung nutzten die Gelegenheit zur Bereicherung. Die KäuferInnen der kleineren und mittleren Geschäfte waren Einheimische, die fast ausnahmslos aus dem Kreis der illegalen Nazis kamen. Die wenigen großen jüdischen Geschäfte und Betriebe wie die Jenbacher Werke oder das größte Tiroler Kaufhaus in Innsbruck, Bauer und Schwarz (heutiges Kaufhaus Tyrol), kamen in die Hände reichsdeutscher Unternehmen.

Die Blutnacht vom 9./10. November 1938 in Innsbruck ist in engem Zusammenhang mit dem unbedingten Willen der Nazis zur Forcierung der Abschiebung noch nicht auswanderungswilliger Juden und Jüdinnen und ihrer wirtschaftlichen Enteignung zu sehen. Die Durchführung wurde genauestens geplant. Um bei der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, dass ein spontaner Volkszorn ausgebrochen wäre, gab Gauleiter Hofer einen geheimen Mordbefehl aus, der den SS-Schlägertrupps bei ihren Überfällen auf jüdische Familien in Innsbruck das Tragen von Zivilkleidung vorschrieb. Gegen 3 Uhr 30 begannen die Aktionen. Bei Kranebitten wurde der Leiter der israelitischen Kultusgemeinde, Ing. Richard Berger, bestialisch erschlagen und in den Inn geworfen. In der Gänsbacherstraße 4 und 5 wurden Ing. Richard Graubart von hinten erstochen und Dr. Wilhelm Bauer, Chef der jüdischen Handelsorganisation, nach schwerer Misshandlung vor der Haustüre liegend erdolcht. Karl Bauer, Mitbesitzer des Kaufhauses Bauer & Schwarz, überlebte mit schweren Kopfverletzungen, blieb aber in Folge geistig umnachtet. Oberbaurat Ing. Josef Adler wurde in seiner Wohnung in der Anichstraße 5 so schwer misshandelt, dass er eine Lähmung davontrug. Er wurde in die Nervenklinik in Innsbruck eingeliefert, fünf Wochen später verstarb er bei einer Operation in Wien. Er war das vierte Todesopfer der Pogromnacht in Innsbruck. In der selben Nacht wurde das betagte Ehepaar Popper in die Sill geworfen. Es konnte sich jedoch vor dem Ertrinken retten. Insgesamt wurden von Verbänden der SS, SA und Gestapo 18 Personen verhaftet, bis zu 100 tätlich angegriffen und mehrere schwer verletzt. Viele Wohnungen wurden beschädigt, zwei Geschäfte geplündert und die Inneneinrichtung der Synagoge demoliert. Hilfeleistungen aus der Bevölkerung gab es kaum, die katholische Kirche bezog nicht Stellung. Laut SS-Oberabschnitt Donau waren in Innsbruck „nahezu alle Juden“ verletzt worden. Zu den brutalen Ausschreitungen bemerkte der Sicherheitsdienst der SS zynisch: „Falls Juden bei dieser Aktion keinen Schaden erlitten haben, dürfte dies darauf zurückzuführen sein, dass sie übersehen wurden.“ Gemessen am geringen jüdischen Anteil innerhalb der Stadtbevölkerung fanden in Innsbruck nach Wien die brutalsten und blutigsten Ausschreitungen statt. Wenige Stunden vor dieser Orgie der Gewalt hatten die „Innsbrucker Nachrichten“ in ihrer Abendausgabe am 10. November die BewohnerInnen der Landeshauptstadt auf die kommenden Ereignisse vorbereitet:

„Wir haben die Hebräer in der Ostmark nach dem Anschluss wahrhaftig mit Glacéhandschuhen  behandelt. Es ist ihnen kein Haar gekrümmt worden und dass wir darangingen, mit durchaus legalen Mitteln unsere Geschäftswelt von diesem Parasitentum zu reinigen, ist nun wirklich nur unser gutes Recht der Selbsterhaltung gewesen. Die berechtigte Notwehr zwingt uns heute zu dem einzig möglichen Mittel der Abwehr künftiger Bluttaten: Für jedes Verbrechen, das künftig irgendwo im Ausland an einem Deutschen begangen wird, werden die Hebräer, die immer noch unsere Gastfreundschaft genießen, zu büßen haben! Auch wir in Tirol haben noch allerhand Juden, und wir Tiroler lassen uns bekanntlich allerhand gefallen, ehe wir richtig zuschlagen. Aber wenn, dann richtig, Tiroler Fäuste haben nichts an Kraft verloren, und wer in der Geschichte einigermaßen Bescheid weiß, wird diese Drohung verstehen.“

Wer nicht unter Zurücklassung seines Besitzes ins Ausland flüchten konnte, wurde zwischen Herbst 1938 und 1940 zwangsweise von Innsbruck nach Wien umgesiedelt und schließlich von dort aus in die Gettos und Vernichtungslager im Osten deportiert. Anfang 1942 wurden die jüdischen EhepartnerInnen in „nicht-privilegierten“ Mischehen, d.h. in kinderlosen Ehen mit „ArierInnen“ abtransportiert, zu Ostern 1943 aufgrund des eigenmächtigen Handelns des Innsbrucker Gestapochefs auch jüdische Mütter, die durch ihren „arischen“ Ehemann geschützt waren. In dieser „Osteraktion“ kamen sechs Menschen ums Leben. Beim Begräbnis eines Ehepaares, das vor der Verhaftung der jüdischen Ehefrau Selbstmord begangen hatte, entwickelte sich in Innsbruck eine regimefeindliche Demonstration. Die Missstimmung in der Bevölkerung veranlasste das NS-Regime die Aktion abzubrechen. Schlussendlich überstanden in Innsbruck nur ein par Frauen die NS-Zeit als Gattinnen „arischer“ Männer in ständiger Angst vor Verhaftung und Deportation. Nach einer vorläufigen Opferbilanz wurden 185 Tiroler Juden und Jüdinnen umgebracht, lediglich 314 haben nachweislich überlebt. Von vielen ist ihr weiteres Schicksal noch unbekannt. Doch auch im günstigsten Fall werden nicht mehr als zwei Drittel überlebt haben. Nur rund 40 der ab März 1938 Vertriebenen oder Deportierten kehrten nach Kriegsende wenigstens für kurze Zeit nach Tirol zurück, ließen sich hier wieder nieder und gründeten erneut eine Kultusgemeinde. Auf Grund der Konzentration der jüdischen Gemeinde auf die Landeshauptstadt beziehen sich diese Zahlen in überwiegendem Maß auf Innsbruck.

Bomben auf Innsbruck

Jahrelang hatten das NS-Regime und die deutsche Wehrmacht mit brutalster Kriegsführung, Massenbombardements gegen die Zivilbevölkerung und Völkermord Europa in Angst und Schrecken versetzt. Als sich das Kriegsglück Hitlerdeutschlands zu wenden begann, wurde auch seine Bevölkerung an der sogenannten „Heimatfront“ mit der ganzen Brutalität des Krieges konfrontiert. Wie immer mussten vorwiegend Unschuldige büßen. Ab Dezember 1943 wurden Innsbruck und seine EinwohnerInnen von den Bombardements alliierter Flugzeuge heimgesucht.

Die katastrophale Niederlage der 6. Armee in Stalingrad im Februar 1943 leitete die Kriegswende ein. Ab Juli 1943 begann die Lage in Tirol immer gefährlicher zu werden. Mit der Kapitulation der Heeresgruppe Afrika in Tunesien und der Landung der Alliierten in Sizilien konnten die Alliierten eine neue Luftfront vom Süden aus eröffnen. Der Gau Tirol-Vorarlberg lag nun in Reichweite der alliierten Luftstreitkräfte. Zudem war der Gau, der bis dahin vom grauenhaften Bombenkrieg völlig verschont geblieben war, plötzlich auch von strategischem Interesse. Einerseits befand sich zunehmend kriegswichtige Produktion im Gau durch die Verlagerung deutscher Unternehmen. Zum anderen war das Inntal und die Brennerstrecke für den deutschen Nachschub eminent wichtig geworden, nachdem die Wehrmacht im September 1943 Italien besetzt hatte. Bereits am 2. September bombardierten amerikanische Flugzeuge die Bahnhöfe von Bozen und Trient, am 1. Oktober forderte der erste Luftangriff auf den Gau in Feldkirch 210 Tote. Nun rächten sich die Versäumnisse des NS-Regimes bitter, das den Luftschutzbau aus siegessicherer Überheblichkeit völlig vernachlässigt hatte. Bis Kriegsende wurde den Erfordernissen der Kriegswirtschaft und der Versorgung der Rüstungsindustrie mit den knappen Ressourcen zu Lasten der Sicherheit der Menschen der Vorrang gegeben. Kurz vor dem ersten Angriff auf Innsbruck hatte die Gaubezirksgruppe Tirol-Vorarlberg des Reichsluftschutzbundes ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die „Herstellung von Stollen für Luftschutzzwecke gänzlich untersagt“ sei. Ähnlich katastrophal präsentierte sich die aktive Luftverteidigung. Zwar waren im Sommer 1943 einige Flakbatterien in und um Innsbruck (Tiergarten, Höttinger Au, bei der Ersten Tiroler Arbeiterbäckerei, am Tivoli, in Rum, Natters, Lans, Vill, Zirl) sowie entlang der Brennerstrecke aufgestellt worden, doch angesichts der steigenden Bedrohung des Gaugebietes entsprach die Flakverteidigung Innsbrucks in keiner Weise den Notwendigkeiten. Auch die personelle Schwäche war augenscheinlich, da das Regime bei der Luftverteidigung auf 15 bis 17jährige Schüler als Luftwaffenhelfer und auf sowjetische Kriegsgefangene zurückgreifen musste.

Am 15. Dezember 1943 nutzte die 15. US-Luftflotte erstmals ihre durch die neuen Basen im Raum Foggia verbesserte strategische Lage und startete den ersten und verhängnisvollsten von insgesamt 22 Angriffen auf Innsbruck. 48 B.17 („Fortress“) Bomber und 39 P.38 Jäger warfen zur Zerstörung der Bahnanlagen 126 Tonnen Bomben über der Gauhauptstadt ab. Die Bilanz war vernichtend: 269 Tote, 500 Verwundete, 1.627 Obdachlose und massive materielle Schäden, besonders in der Innenstadt und in Wilten.

Die Ursachen für die verheerenden Auswirkungen dieses ersten Angriffs auf Innsbruck lagen im veralteten Geschützmaterial der Flak, am Mangel an erfahrenen Soldaten und bombensicheren Sicherheitsräumen sowie im völligen Versagen des Warnsystems. Dieser erste Bombenangriff auf Innsbruck führte zu einer heftigen Erbitterung innerhalb der Bevölkerung, die von der NS-Propaganda geschickt für eine Stärkung des Widerstandes im Geiste eines Wir-Gefühls der „Volksgemeinschaft“ ausgenutzt wurde. Doch noch bevor die allerschlimmsten Schäden behoben worden waren, erfolgte am 19. Dezember bereits der nächste Angriff, der aber auf weit größeren Widerstand seitens der Tiroler Luftabwehr stieß. Zudem kam es erstmals (und auch letztmalig) zu Luftkämpfen deutscher Jäger mit den amerikanischen Flugzeugen. Während fünf US-Bomber abgeschossen wurden, verlor die deutsche Luftwaffe mindestens 24 Maschinen, wahrscheinlich jedoch sogar 38. Die Folgen dieses Angriffs für die Innsbrucker Bevölkerung waren 70 Tote. Da die Alliierten bei ihren Angriffen auf Innsbruck in erster Linie die Infrastruktur der Bahn zu zerstören versuchten, war insgesamt gesehen der Stadtteil Wilten das am meisten bombardierte Viertel, dann folgte mit einigem Abstand Pradl.

Nach den beiden Bombenangriffe kam es zu einer Massenflucht fast eines Drittels der Innsbrucker Bevölkerung, wobei die Aufnahme der städtischen Flüchtlinge am Land des öfteren nicht gerade freundlich war. Besonderes Augenmerk wurde auf die Evakuierung der Schulen und ihrer Verlegung ab der vierten Klasse Volksschule im Zuge der „erweiterten Kinderlandverschickung“ (KLV) aufs Land gelegt.

Bei den Aufräumearbeiten und der Blindgängerbeseitigung wurden auch Fremdarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge des „Arbeitserziehungslagers Reichenau“ eingesetzt. Sieben 17-18jähre ausländische Burschen wurden als „Plünderer“ erhängt, weil sie sich Kleidung besorgt hatten und beim heimlichen Verzehr von Brot und Marmelade erwischt worden waren. Eine 34jährige Tirolerin, die aus dem Koffer eines Innsbrucker Bombenflüchtlings wertvolle Kleider gestohlen hatte, wurde vom Sondergericht Innsbruck zum Tode verurteilt.

Da bis Juni 1944 keine Angriffe mehr auf Innsbruck erfolgten, blieb Zeit, um die Schlagkraft der Luftverteidigung durch eine Ausweitung des Einsatzes der Schuljugend und von Lehrlingen an der Flak sowie ab November und Dezember 1944 durch eine größere Zahl ungarischer Soldaten und Flakbatterien aus Italien zu erhöhen. Erst im Jänner 1944 (sic!) ging das NS-Regime energisch daran, Luftschutzstollen zu bauen, die der Innsbrucker Bevölkerung sicheren Schutz boten. Dadurch konnten innerhalb weniger Monate 8.901 Stollenmeter realisiert werden. Diese rasche Durchführung des Stollenbaues ist auf die Konzentration der Mittel auf Innsbruck und den überwiegenden Einsatz von Fremdarbeitern, Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen bzw. Häftlingen des „Arbeitserziehungslagers Reichenau“ unter Aufsicht örtlicher Baufirmen zurückzuführen. So waren etwa im März 1944 in Innsbruck bei derartigen Stollenbauten neben 75 inländischen Arbeitskräften 491 Fremd- und Zwangsarbeiter sowie 112 Kriegsgefangene im Einsatz.

Ab Juni 1944 kam es in Innsbruck wieder zu Angriffen, allerdings mit verhältnismäßig wenigen Toten. Die Bombardierungen entlang der Brennerstrecke zwischen Verona und München, die nun zu einem Hauptangriffsziel wurde, nahmen derart an Intensität zu, dass rasch offenkundig wurde, dass der Gau Tirol-Vorarlberg eine „Festung ohne Dach“ war und die Flakabteilungen der alliierten Luftflotte und ihren Bombenteppichen nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hatten. Diese sogenannte „Brennerschlacht“, die seitens der amerikanischen Luftwaffe das Ziel verfolgte, die Nachschublieferungen für die Wehrmacht in Italien zu stören, dauerte ohne Unterbrechung bis zum 25. April 1945. Der schwerste Angriff auf Innsbruck gegen Kriegsende erfolgte am 16. Dezember 1944, bei dem neben dem Hauptbahnhof auch das Stadtzentrum (Rathaus, Dom, Stadtsaal, Landesgericht etc.) schwer getroffen wurde. Unter den 35 Toten befanden sich deshalb besonders viele Magistratsbeamte. Dieser Bombenangriff, bei dem auch Brandbomben zum Einsatz gekommen waren, unterschied sich wesentlich von allen anderen Angriffen auf Innsbruck. Waren bis dahin kriegswichtige Ziele mit strategischer Bedeutung bombardiert worden, so lag dieses Mal der Schwerpunkt auf zivilen Zielen. Die NS-Presse sprach in diesem Zusammenhang vom Feind im Westen, „der durch seinen Mord- und Brandterror gegen Wehrlose neuerdings bewiesen hat, daß er sich von den asiatischen Bestien im Osten durch nichts unterscheidet – es wäre denn durch größere Feigheit.“

Den letzten „Großkampftag“ im Luftkrieg erlebte Tirol am 20. April 1945, dem Geburtstag Hitlers. Die Bombardements der Alliierten hatten zwar nicht zur erhofften Demoralisierung der Zivilbevölkerung geführt, aber doch zu einer allgemeinen physischen und psychischen Erschöpfung. Als einen der Hauptfaktoren für die Kapitulation der deutschen Truppen in Italien und für das Ausbleiben eines „Endkampfes“ auf Tiroler Boden sahen die USA die erfolgreiche Bombardierung der Brennerstrecke an. Durch den Luftkrieg waren im ehemaligen Gau Tirol-Vorarlberg rund 1.500 Bombenopfer zu beklagen, ein Drittel davon in Innsbruck (504 Menschen). Auch bei den materiellen Schäden trug Innsbruck die Hauptlast. 80 Prozent der Gesamtschäden betrafen die Landeshauptstadt. Knapp 54% der Gebäude und fast 60% der Wohnungen in Innsbruck waren beschädigt, zerstört oder unbewohnbar. Die schwersten Schäden gab es in den Stadtteilen Wilten und Pradl, in der Umgebung des Bahnhofes sowie in der Maria-Theresien-Straße und der Altstadt zu beklagen.

Die Befreiung Innsbrucks

In den letzten Kriegswochen schlossen sich immer mehr Menschen den kleinen heterogenen Widerstandsgruppen an, die Karl Gruber geeint hatte. Als die amerikanischen Truppen am 2. Mai 1945 mit der Bombardierung und völligen Zerstörung Innsbrucks drohten, wenn die Nazis nicht binnen kürzester Zeit die Stadt übergeben würden, entschloss sich die Widerstandsbewegung zur etappenweisen Besetzung der wichtigsten militärischen und zivilen Zentren Innsbrucks. So gelang es ihr, eine mögliche verheerende Bombardierung der Landeshauptstadt zu verhindern. Bis zum Abend wurden sämtliche Kasernen besetzt, auch das Gendarmeriekommando am Innrain konnte eingenommen werden. Mit Ausnahme der Klosterkaserne, in die Gruber sein Hauptquartier verlegt hatte, mussten zwar nach Anrücken von SS-Verbänden wieder alle Kasernen geräumt werden, die Tiroler Freiheitsbewegung war nun aber im Besitz der meisten Waffen- und Munitionsvorräte der Stadt. Die Innsbrucker Garnison der Wehrmacht war dadurch sowie durch die Verhaftung eines großen Teils der Kommandeure und NS-Offiziere bleibend lahmgelegt. Der Hauptschlag war auf der Hungerburg erfolgt, wo der Verteidigungskommandant von Tirol, General Johannes Böhaimb, mitsamt seinem Offizierskorps festgenommen worden war. Am Morgen des 3. Mai konnte das Innsbrucker Polizeipräsidium übernommen werden, gegen 13 Uhr verließ Gauleiter Franz Hofer das Landhaus, sodass die Freiheitsbewegung um 14 Uhr kampflos das Landhaus besetzen und die rotweißrote Fahne hissen konnte. Rasch wurde im Namen des neugebildeten Exekutivausschusses der Tiroler Widerstandsbewegung die erste Ausgabe der „Tiroler Nachrichten“ mit einem Aufruf herausgegeben, der auch vom Sender Aldrans, der mit List erobert worden war, ständig verbreitet wurde:

„Österreicher! Tiroler! Innsbrucker! Die Stunde eurer Befreiung ist gekommen. Die gesamte Südfront hat kapituliert. Die alliierten Truppen stehen vor Innsbruck. Jeder weitere Widerstand wäre nicht nur zwecklos, sondern er ist ein Verbrechen an Volk und Staat. Wer die Waffen weiter führt, den Widerstand auch nur entfernt begünstigt, wird als Verbrecher bestraft. Sieben Jahre bitterster Knechtschaft und Bedrückung sind restlos vorbei. Die Alliierten kommen als unsere Befreier und Retter. Ihnen gilt in dieser historischen Stunde der Wiedergeburt unseres Tirols und eines freien Österreichs unser Dank. Wir wollen aber auch jener gedenken, die für die Sache Österreichs und unseres engeren Heimatlandes trotz aller Gefahren in all den Jahren der Knechtschaft arbeiteten, litten und starben. Hißt von allen Häusern die Fahnen! Nicht weiße sollen es sein, sondern rot-weiß-rote oder rot-weiße, die Farben unseres heißgeliebten Österreichs, unseres Tirols. Es lebe die Freiheit! Es lebe Tirol! Es lebe Österreich!“

Die verkündete Totalkapitulation war eine bewusste Falschmeldung, welche die letzte Motivation der Wehrmachts- und SS-Einheiten sowie der Parteiformationen zu Widerstandshandlungen untergraben sollte. Viele BewohnerInnen der Landeshauptstadt stürzten nun auf die Straßen, um sich der Widerstandsbewegung zur Verfügung zu stellen. Binnen weniger Stunden konnten so an die 2.000 Innsbrucker bewaffnet werden. Bis zuletzt bestand für die Männer und Frauen des Widerstandes Lebensgefahr. Die Gestapo hatte ja noch Ende April 1945 13 Todesurteile für die rund 100 verhafteten RegimegegnerInnen vorbereitet und brutalste Foltermethoden angewandt, die etwa im Fall des Robert Moser zum Tode führten. Vor und in der Nähe des Landhauses kam es am Nachmittag des 3. Mai 1945 zu Schießereien mit versprengten SS-Einheiten, die sich auf dem Rückzug befanden. Noch in den letzten Stunden des Dritten Reiches kamen so die Freiheitskämpfer Franz Maier und Rolf Winkler in Innsbruck ums Leben. Insgesamt sind bis Kriegsende bei verschiedenen Widerstandsaktionen in Nordtirol 21 Widerstandskämpfer gefallen.

Als die US-Truppen am Abend, vermutlich gegen 20 Uhr, in Innsbruck einmarschierten, konnte ihnen eine befreite Stadt übergeben werden. Den Truppen der amerikanischen Kaktusdivision, also der 103. Infanteriedivision, bot sich folgendes Bild:

„Die Kaktus Männer konnten kaum ihren Augen trauen. Es war wie die Befreiung von Paris. Der Jubel war ungeheuer. Männer, Frauen und Kinder schrien den einmarschierenden Truppen Begrüßungsworte zu und streuten ihnen Blumen. Den Soldaten wurden Cognac- und Weinflaschen angeboten. Hübsche Mädchen kletterten auf Panzer und Jeeps, um die Soldaten zu küssen. Österreichische Fahnen wehten überall in der Stadt. Man sah keine weißen Fahnen. Die Menschen schienen den Einmarsch der US-Truppen als Befreiung zu betrachten. Deutsche Soldaten standen, noch immer in Uniform, am Straßenrand; sie trugen noch ihre Waffen, aber auch Armbinden mit ‚Freies Österreich‘ und riefen uns zu ‚Heil den Amerikanern!‘ Die Szene unterschied sich vollkommen von allem, was die Soldaten in deutschen Städten erlebt hatten.“

Die „Innsbrucker Revolution“ schien den GI’s so unwirklich, dass sie dem Berichterstatter der 7. US-Armee wie die Inszenierung eines drittklassigen Hollywood-Streifens vorkam. Der bekannte deutsche Schriftsteller Erich Kästner merkte angesichts seiner Beobachtungen in Mayrhofen über die Reaktion der TirolerInnen nach Grubers Anweisung zur sofortigen Beflaggung in den Farben Österreichs oder Tirols ironisch an: „Für die politische Kehrtwendung genügen zehn Minuten. Die befriedigende Lösung der Flaggenfrage ist viel zeitraubender. […] Denn es genügt nicht, die Fahne nach dem Wind zu hängen. Es muß ja die neue Fahne sein!“

Die amerikanische Besatzungsmacht traf im Innsbrucker Landhaus bereits auf ein etabliertes Tiroler Regierungsteam in Form eines 15köpfigen Exekutivausschusses, das sich nach vielen Diskussionen am 30. April gebildet hatte und am 4. Mai bereits als provisorische Tiroler Landesregierung zusammentrat.

Der Tiroler Widerstand, der erst in den letzten Monaten und Wochen vor Kriegsende Bedeutung erlangt hatte und besonders stark auf Innsbruck konzentriert war, hatte den bewaffneten Kampf in den letzten Kriegstagen aufgenommen. Mit zunehmender Auflösung des NS-Machteinflusses und der Einsicht, dass die alliierten Truppen vor dem Sieg standen, war die Kampfbereitschaft der Tiroler Freiheitsbewegung gestiegen. Vor allem Katholisch-Konservative, aber auch Linke bildeten das Rückgrat des Widerstandes. Die Unterstützung in der Bevölkerung war gering. In der letzten Phase des NS-Regimes veränderte sich die Haltung der Mehrheit der InnsbruckerInnen und TirolerInnen gegenüber dem Nationalsozialismus grundlegend. Ausschlaggebend war weniger eine klare politische Ablehnung des Nazismus an sich, als eine Umorientierung angesichts wachsender Verzweiflung und Ängste im Gefolge der sich deutlich abzeichnenden totalen Niederlage. Aber erst nach der Befreiung mutierten dann tausende TirolerInnen zu FreiheitskämpferInnen.

Der Sturz des NS-Regimes in Tirol kann natürlich keineswegs auf die verdienstvolle Arbeit der Widerstandsbewegung zurückgeführt werden. Diese war für die NSDAP und den Gestapo/SS/SD-Komplex zu keinem Zeitpunkt eine derartige Gefahr, dass sie eine reale Bedrohung des Regimes dargestellt hätte. Dazu standen auch viel zu viele InnsbruckerInnen und TirolerInnen im Lager von Staat und Partei. Ohne den militärischen Sieg der Alliierten hätte Innsbruck bzw. das Land nicht befreit werden können. Er bildete das Fundament, das die erfolgreichen Aktionen der Freiheitsbewegung in den letzten Kriegstagen erst realisierbar machte. Die beliebte Darstellung der Verhinderung der Zerstörung Innsbrucks als alleiniges Verdienst der Widerstandsbewegung ist nicht haltbar, da erst die militärische Entwicklung und schließlich die Waffenstillstandsunterzeichnung der deutschen Heeresgruppe Südwest es Gauleiter Hofer im letzten Moment ermöglicht hatten, den Verzicht auf eine Verteidigung Innsbrucks und dementsprechende Kampfhandlungen zu verkünden. Hofer versuchte so auch seine eigene Haut zu retten.

Auf der anderen Seite muss das Einzigartige des Widerstandes betont werden, nämlich dass in Innsbruck schon vor dem Einrücken der Alliierten durch eigene Initiative die Beseitigung der NS-Herrschaftsstrukturen gelang. Ab Mitte April 1945 war Innsbruck und Umgebung neben Wien zum Zentrum des österreichischen Widerstandskampfes geworden. Die InnsbruckerInnen atmeten angesichts des ersehnten Kriegsendes auf. Dies gelang umso eher, als nicht die von den Nazis dämonisierten Russen, deren Rache gefürchtet wurde, sondern die Amerikaner einmarschierten.

Das Erbe des Nationalsozialismus war verheerend. Innsbruck war eine zerstörte Stadt, Hunger und Wohnungselend prägten das Leben vieler seiner BewohnerInnen noch viele Jahre nach dem Krieg. Die Innsbrucker Statistiken zählen neben den 504 Bombenopfern 2.062 Wehrmachtsgefallene und 1.228 Invalide auf. Dazu kommen noch viele hunderte InnsbruckerInnen, die aus rassischen und politischen Gründen verfolgt und getötet worden sind und eine unbekannte Zahl an Fremd- und ZwangsarbeiterInnen, die hier zu Tode geschunden und ermordet wurden oder sonst wie ums Leben kamen.