Innsbruck im Bombenkrieg

Aus: Konrad Arnold (Hrsg): Luftschutzstollen aus dem Zweiten Weltkrieg. Das Beispiel Innsbruck. Von der Geschichte zur rechtlichen und technischen Problemlösung in der Gegenwart 2002. Dort mit Fußnoten
Horst Schreiber

Innsbruck im Bombenkrieg

1. Einstimmung auf den Luftkrieg

Bereits in der Zwischenkriegszeit gingen Kriegstheoretiker von einem „totalen Luftkrieg“ aus, der keinen Unterschied mehr zwischen Front und Hinterland macht und das gesamte Territorium des Gegners in ein Kampfgebiet verwandelt. Alle modernen Luftstreitkräfte schlossen sich schließlich diesem Grundprinzip an, dass der künftige Krieg ZivilistInnen in gleicher Weise treffen würde wie Soldaten. In diesem Sinne prägten die Nazis den Begriff der „Heimatfront“. Bereits kurze Zeit nach dem „Anschluss“ Österreichs starteten sie deshalb ihre propagandistische Initiative zur Vorbereitung der Bevölkerung auf den längst beschlossenen Eroberungskrieg. Der zivile Luftschutz galt als „nationale Pflicht“ und hatte die Aufgabe, „das Leben der Bevölkerung zu schützen, Störungen des öffentlichen Lebens infolge von Luftangriffen zeitlich möglichst zu beschränken und eingetretene Schäden schnellstens zu beseitigen“. Die Aufklärung der Bevölkerung sowie Organisation und Ausbildung im sogenannten „Selbstschutz“ erfolgten durch den Reichsluftschutzbund (RLB), der neben seiner breiten Informations- und Schulungstätigkeit versuchte, weite Bevölkerungsschichten als Mitglieder zu werben. Im August 1938 wurde die Tiroler Bevölkerung aufgerufen, sich am Aufbau des RLB zu beteiligen und sich ins „Räderwerk des zivilen Luftschutzes“ einzugliedern:

„Der Reichsluftschutzbund ruft – Zum Schutze von Familie, Hab und Gut und Volksvermögen

Der Führer will, daß auch wir luftschutzbereit sind, er will, daß wir Luftangriffe ertragen können, nicht weil zu befürchten ist, daß heute oder morgen Luftangriffe stattfinden, sondern weil die Aussicht, daß es überhaupt einmal zu Bombenangriffen kommt, umso geringer wird, je größer die Luftschutzbereitschaft des deutschen Volkes ist.“

Die ständigen Luftschutzübungen wurden von der Bevölkerung aber nicht sehr ernst genommen. Dazu trug auch die oberste NS-Führung bei. Hermann Göring unterstrich als Oberbefehlshaber der Luftwaffe und als für den Luftschutz zuständiger Reichsluftfahrtminister wiederholt in großen Pressekampagnen die Überlegenheit der deutschen Luftrüstung, die ein Eindringen eines feindlichen Flugzeuges in deutsches Hoheitsgebiet schon im Keim ersticken würde.

Auch die Schuljugend wurde theoretisch und praktisch mit dem Luftschutz vertraut gemacht. Sofort mit der Übernahme der Schulverwaltung begann das NS-Regime mit der Verankerung des Luftschutzgedankens im Unterricht. So hatte etwa das Fach  Chemie dazu beizutragen, dass dem Luftschutz eine genügende Zahl von HelferInnen mit chemischen Vorkenntnissen zur Verfügung stand. „Hitler-Jugend“ (HJ) und „Bund Deutscher Mädl“ (BDM) organisierten spezielle Luftschutz-Lehrgänge. Die dementsprechende LehrerInnenfortbildung hatte der RLB zu organisieren. Jede Lehrperson war entsprechend ihrer „Eignung und Veranlagung verpflichtet, in den Gliederungen des RLB mitzuwirken“. Mit Kriegsbeginn erlangte der Luftschutz eine gesteigerte Bedeutung. Das Ministerium für Luftfahrt und der Oberbefehlshaber der Luftwaffe arbeiteten Richtlinien zur Durchführung des Luftschutzes in den Schulen aus, die diesen einen beträchtlichen Arbeitsaufwand bescherten. Geeignete Räume, Baustoffe, Geräte und Einsatzmannschaften sollten bereit gestellt werden, an der realen Umsetzung mangelte es allerdings beträchtlich. Mehr Erfolg hatten die Anweisungen an die Schulen, entsprechende Alarmübungen für die SchülerInnen sowie Schulungen der Lehrkräfte durch den RLB durchzuführen. Auch ein Nachtdienst musste an den Schulen installiert werden. In der Folge hatten auch Splitterschutzgräben ausgehoben zu werden. Der Schulleiter galt als Betriebsluftschutzleiter und trug dafür Sorge, dass die Lehrkräfte „bei jeder Gelegenheit im Unterricht“ über den Luftschutz informierten und die Schuljugend über das richtige Verhalten im Ernstfalle belehrten. Darüber hinaus zeigte der RLB im Unterricht Filme wie „Wenn Bomben fallen“, „Nur nicht bange machen lassen“ oder „Fliegeralarm – Was tun?“

Der Sinn des Luftschutzunterrichts und der vielen Luftschutzübungen lag jedoch in erster Linie in der psychologischen Mobilisierung der TirolerInnen, denn in Wirklichkeit verabsäumten es die Verantwortlichen, für einen wirksamen Schutz der Bevölkerung vorzusorgen. Im Mai 1939 stimmte das NS-Regime die Bevölkerung auf den kommenden Krieg ein. Zu diesem Zweck wurde eine Luftschutzwoche propagiert: „Luftschutzwoche in Innsbruck. Parole: ‚Jedes deutsche Haus luftschutzbereit'“. Weiters wurde Reichsluftfahrtminister Göring mit den Worten zitiert: „Der Luftschutz ist zu einer Lebensfrage für unser Volk geworden.“ Die Innsbrucker Nachrichten unterstrichen die Notwendigkeit, dass „das ganze Volk zur Mitarbeit und zum Einsatz in der Luftabwehr […] bereit und fähig ist! […]. Jeder einzelne Volksgenosse wird seine Aufgabe haben, für die er erzogen und vorbereitet sein muß.“

2. Unzulänglicher Luftschutz

Am 1. September 1939 griff das Deutsche Reich Polen an und löste mit der darauf folgenden Kriegserklärung Englands und Frankreichs den Zweiten Weltkrieg aus. Der Gau Tirol-Vorarlberg blieb zunächst von direkten Kriegseinwirkungen verschont. Fernab von der Front war von einer Bedrohung noch wenig zu merken. Daran änderten auch die Verdunkelungsbestimmungen nichts, denen sich im übrigen Teile der Bevölkerung trotz Strafandrohungen zu entziehen versuchten. „Gegen Verdunkelungsvorschriften wird noch immer verstoßen!“, beklagten die Innsbrucker Nachrichten im Oktober 1939. Festzuhalten ist jedenfalls, dass mitten im Krieg keine größeren  Mittel für den Luftschutz zur Verfügung standen und ein gezieltes Bauprogramm nicht einmal in Ansätzen vorhanden war.

Die ersten schweren Angriffe der Briten auf Deutschland gegen Ziele im Ruhrgebiet waren eine Antwort auf die schwere Bombardierung Rotterdams am 14. Mai 1940 durch die deutsche Luftwaffe. Ihnen folgten in den nächsten Wochen und Monaten weitere Angriffe, bei denen die Royal Air Force (RAF) Anfang Juni 1940 einige Bomben sogar in und um München abwarf. Damit befand sich Tirol erstmals in unmittelbarer Nähe von Kriegshandlungen. Darüber hinaus war dadurch aber auch klar geworden, dass die vollmundige Behauptung Görings, dass feindliche Flieger niemals in das Innere des Deutschen Reiches vordringen könnten, nicht ernst zu nehmen war. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte die deutsche Führung energische Schritte für einen raschen und effektiven Luftschutz in die Wege leiten müssen. Doch außer einer Intensivierung der Propaganda geschah wenig. Dies ist auch auf die enthusiastische Stimmung in der Bevölkerung zurückzuführen, die nach der Waffenstillstandsunterzeichnung Frankreichs am 22. Juni 1940 und dem Ende des „Westfeldzuges“ den Krieg voreilig als gewonnen betrachtete. Am 13. August 1940 eröffnete die deutsche Luftwaffe zur Vorbereitung einer Invasion Großbritanniens („Unternehmen Seelöwe“) die „Luftschlacht um England“. Die Gegenschläge der Briten bis nach Süddeutschland wirkten sich stimmungsmäßig sehr negativ aus, da die Stärke des Gegners maßlos untertrieben worden war. Während Vorarlberg ab Herbst 1940 ein Überflugsgebiet britischer Bomber mit Ziel Süddeutschland war, erlebte Innsbruck durch den Störangriff auf München am 2. September 1940 den ersten Fliegeralarm. Dabei wurde die Schwäche der Tiroler Luftverteidigung aufgedeckt. Eine Großalarmanlage war nicht vorhanden, vier Sirenen erwiesen sich als funktionsuntüchtig, und der Alarm wurde zum Großteil nicht gehört. Entsprechende Maßnahmen auf dem Gebiet des passiven Luftschutzes wurden dennoch kaum in die Wege geleitet. Dies sollte sich drei Jahre später bitter rächen.

Anfang Dezember 1940 gab Hitler die Invasionspläne endgültig auf. Stattdessen erteilte er die Weisung zur Vorbereitung des Angriffskrieges gegen die Sowjetunion auch ohne vorhergehende Beendigung des Krieges gegen Großbritannien. Da sich die englischen Luftangriffe auf Ziele in Nord- und Westdeutschland verstärkten und die Briten ihre Angriffstaktik mit dem ersten Flächenbombardement auf Wohnviertel in Mannheim änderten, entschloss sich Propagandaminister Joseph Goebbels, die Bevölkerung auf die zunehmende Härte des Luftkrieges und die damit verbundenen Opfer psychologisch vorzubereiten und dies kontrolliert in die Berichterstattung einfließen zu lassen. Immerhin reagierte die militärische Führung, indem am 12. Februar 1941 zum Schutz der Brennerstrecke in Innsbruck eine Flakeinheit mit 12 Maschinengewehren und zwei 2-cm-Geschützen stationiert wurden. In Wörgl waren zu diesem Zweck acht Maschinengewehre „feuerbereit“ abgestellt worden. Mitte März begann man nun auch in Tirol und Vorarlberg mit dem Aufbau einer aktiven Luftverteidigung, nachdem das Luftgaukommando VII mit Sitz in München, dem der Gau Tirol-Vorarlberg in fast allen Belangen des Luftkrieges im Gegensatz zu den anderen Gauen der „Ostmark“ angehörte, dem Luftwaffenbefehlshaber Mitte unterstellt worden war. Nach dem erfolgreichen „Balkanfeldzug“ fühlte man sich im Gau wieder so sicher, dass die Flakeinheiten aus Innsbruck und München am 15. April 1941 wieder abgezogen und in die Nähe von München verlegt wurden.

Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Auf dieses Vorhaben hatte die NS-Führung seit Jahren hingearbeitet. Von Anfang an wurde dieser Krieg als ideologisch verbrämter Rassen-, Vernichtungs- und Ausrottungskrieg geführt. Obwohl der Vormarsch der deutschen Truppen zunächst unaufhaltsam schien, musste mit einer Ausdehnung der britischen Luftangriffe gerechnet werden. In den Monaten Juni und Juli 1941 fanden deshalb im gesamten Gau Luftschutzappelle und Ausstellungen des RLB statt, die einerseits das Luftschutzverhalten der Bevölkerung für den Ernstfall verbessern sollten, andererseits die TirolerInnen auf die deutsche „Volks- und Schicksalsgemeinschaft“ im Krieg einschworen. In der Bevölkerung kamen aufgrund der überaus starken Luftangriffe auf norddeutsche Städte, deren Auswirkungen deutsche UrlauberInnen während ihres Aufenthaltes in Tirol verbreiteten, durchaus Befürchtungen hoch. Doch neben der propagandistischen Abschirmung von der Realität trug zur relativ guten Stimmungslage der Umstand bei, dass der Süden Deutschlands bis Ende 1941 vom Bombenkrieg verschont blieb.

3. Die Kriegswendef

Das Jahr 1942 sollte einschneidende Veränderungen bringen. Das Blitzkriegskonzept war gegen die UdSSR nicht aufgegangen. Während die Wehrmacht nach ihren enormen Anfangserfolgen ins Stocken geraten war, formierte sich die Rote Armee sogar zum Gegenangriff. Die deutsche Führung hatte aber weder für die Soldaten an der Front noch für die Rüstungswirtschaft für den Fall eines längeren Krieges Vorsorge getroffen. Eine dramatische Verschärfung drohte zudem durch den Kriegseintritt der USA, der zu einer Neuformierung der Westalliierten beitrug. Am 14. Februar 1942 erteilten der englische Premierminister Winston Churchill und das englische Luftfahrtministerium den Luftstreitkräften die Weisung, die Kriegsführung so umzugestalten, dass die Moral der Zivilbevölkerung und insbesondere der IndustriearbeiterInnenschaft geschwächt werde. Mit der Ernennung von Arthur Harris („Bomber-Harris“) zum Oberkommandierenden kam einer der energischsten Verfechter jener Lehre an die Macht, die davon ausging, dass sich totale Flächenbombardements strategischer Bomber unter Aufhebung der Trennung von militärischer Front und Hinterland kriegsentscheidend auswirken würden. Ende Juni 1942 begannen die Amerikaner die 8. US-Luftflotte nach Europa zu verlegen, zunächst nach Schottland. Zwar dauerte es bis zum Sommer 1943, bis die amerikanischen Luftstreitkräfte eine größere Rolle spielten, doch ab dem Frühjahr 1944 sollten sie die klare Luftherrschaft über Deutschland erringen. Zunächst schien 1942 im Gau Tirol-Vorarlberg alles seinen gewohnten Gang zu nehmen. Der Schwerpunkt des Luftkrieges lag zunächst weiterhin fern des Gaues und veranlasste Gauleiter Hofer zu leichtfertigem Vorgehen. Trotz steigender Gefährdung durch feindliche Angriffe auf München unterlief er die militärischen Bemühungen des Luftgaukommandos, das Flugmeldewesen durch den Einsatz von LuftwaffenhelferInnen zu stärken. Er verhinderte die Rekrutierung von Frauen aus dem Gau, aber auch von auswärts, da diese in Innsbruck keine Wohnungen finden würden. Als Innsbruck am 6. Oktober 1942 seinen ersten Fliegeralarm bei Tag erlebte, stand es einem etwaigen Angriff immer noch völlig unvorbereitet gegenüber. Dabei nahm der Handlungsbedarf von Woche zu Woche zu, da sich das Kriegsglück der Wehrmacht deutlich zu wenden begann.

Zum Jahreswechsel 1942/43 zeichnete sich bereits die katastrophale Niederlage von Stalingrad ab, die im Februar 1943 mit der Kapitulation der 6. Armee endete. Anfang November 1942 landeten die Alliierten in Marokko und Algerien. Dies führte dazu, dass die bereits auf dem Rückzug befindlichen deutschen und italienischen Truppen schwer geschlagen wurden. Im Mai 1943 kapitulierte die Heeresgruppe Afrika in Tunesien. Doch damit war die Wehrmacht nicht nur auf diesem Kriegsschauplatz mit einer verheerenden Niederlage konfrontiert. Weit schlimmer wog, dass somit die Voraussetzungen für eine Landung der Alliierten in Italien geschaffen waren. Dadurch war es nur mehr eine Frage der Zeit, bis Tirol in den Strudel des Luftkrieges gezogen würde. Dies war auch dem Gauleiter bewusst, der durch die Ernennung zum Reichsverteidigungskommissar für die zivile Reichsverteidigung des Gaues verantwortlich war. Dennoch verhielt er sich beim Luftschutz im großen und ganzen weiterhin passiv. Die Rolle des Gaues Tirol-Vorarlberg als „Luftschutzkeller des Reiches“ schien freilich 1942/43 weiterhin von der Realität bestätigt zu werden: umso mehr noch, wenn man bedenkt, wie massiv deutsche Städte von den Angriffen der Briten in Mitleidenschaft gezogen worden waren.

Für den weiteren Fortgang des Luftkrieges sollte die Konferenz von Casablanca im Jänner 1943 zwischen den USA und Großbritannien von schwerwiegender Bedeutung sein. Die USA und Großbritannien einigten sich auf eine auf Flächenbombardements basierende „kombinierte Bomberoffensive“ mit den Zielschwerpunkten Rüstungs- und Produktionsstätten, Rohstofflager, Flugzeugindustrie und verkehrstechnische Infrastruktur. Darüber hinaus forderten sie die „bedingungslose Kapitulation“ Deutschlands. Die neuen Anweisungen für die alliierten Bomberstreitkräfte lauteten folgendermaßen:

„Ihr vordringlichstes Ziel ist die fortschreitende Zerstörung und Desorganisation des deutschen militärischen, industriellen und wirtschaftlichen Systems sowie die Untergrabung der Moral des deutschen Volkes bis zu einem Punkt, an dem seine Fähigkeit zu bewaffnetem Widerstand entscheidend geschwächt ist.“

4. Halbherzige Vorbereitungen auf den Bombenkrieg

Mit den Beschlüssen von Casablanca fielen laut Luftmarschall Arthur Harris für die alliierten Luftstreitkräfte, die nun für den Bombenkrieg „völlig freie Hand“ erhielten, die „letzten moralischen fHemmungen“. Mit voller Härte wendete sich nun das Kriegsgeschehen gegen Deutschland. Die Antwort bestand in der Ausrufung des „totalen Krieges“ Mitte Jänner 1943 durch Propagandaminister Goebbels, der gemäß einem Führererlass den „totalen Einsatz der Heimat für die Kriegsführung“ anordnete. Ausdruck dieser „totalen Kriegsführung“ unter Einsatz aller Mittel war die nach langwierigen Diskussionen Anfang Jänner 1943 gefasste Führerentscheidung, weibliche und männliche Angehörige der Höheren und Mittleren Schulen im Alter von 16 1/2 und 17 Jahren als Luftwaffenhelfer und Flakhelferinnen einzuziehen. Am 11. Februar 1943 wurde die Öffentlichkeit in Tirol und Vorarlberg in Kenntnis gesetzt,

„daß die Schüler der höheren Schulen als Luftwaffenhelfer in luftbedrohten Gebieten eingesetzt werden sollen, wobei die Luftwaffenhelfer im Heimatort und in dessen unmittelbarer Nähe verbleiben […]. Mit dem Kriegseinsatz der deutschen Jugend ist ein weiterer Schritt zur totalen Mobilisierung aller Kräfte des deutschen Volkes getan.“

Infolge dieser Entwicklung wurden im gesamten Reich Flakbatterien mit 15- bis 16jährigen aufgestellt, die als kämpfende Soldaten Angehörige der HJ blieben und oft unter beträchtlichen Verlusten die Hauptlast des Flakeinsatzes der Reichsluftverteidigung trugen. Der Dienst als Luftwaffenhelfer galt als Erfüllung der Jugenddienstpflicht. In die Flakstellungen wurden darüber hinaus nicht mehr wehrpflichtige Jahrgänge als Flakwehrmänner einberufen, die nach ihrem Tagwerk in der Fabrik nachts an der Flak ihren Dienst verrichteten. Zu den schweren Arbeiten wurden sogenannte „Hilfswillige“, meist sowjetische Kriegsgefangene, eingesetzt.

Gauleiter Hofer versuchte zunächst den Einsatz von SchülerInnen für den Kriegshilfsdienst zu verhindern, da er dafür im Gau keine Veranlassung sah und die Stimmung nicht belasten wollte. Aus diesem Grund teilte er den am 28. Jänner 1943 zu einer Besprechung zusammengerufenen Direktoren der Höheren Schulen in Tirol und Vorarlberg mit, dass im Gau voraussichtlich kein Einsatz von SchülerInnen in Frage komme. Der Gauleiter konnte sich jedoch mit seiner Position nicht durchsetzen. Schließlich wurden die ersten 75 Schüler im Februar 1943 zum Kriegshilfsdienst an der Flak einberufen. Am 22. Februar meldeten sich die Schüler in der Pradler Hauptschule. Bereits am nächsten Tag zog die erste Einheit von Luftwaffenhelfern unter der musikalischen Umrahmung des Musikkorpsgebirgsjägerregiments und eines Ehrenzugs der Wehrmacht in „strammer Haltung“ zur Klosterkaserne, wo unter Teilnahme des Generals des Luftgaukommandos VII München, der Spitzen von NSDAP, Wehrmacht, HJ, Schulbehörden und den Eltern die Verpflichtungsfeier abgehalten wurde. Die Jungen sollten durch ihren Einsatz „ein Bekenntnis zum Geist der unsterblichen Helden von Stalingrad ablegen und stets würdig unserer Frontsoldaten ihre Pflichten erfüllen. […]. Mit dieser Aufgabe übernehmen sie eine Verantwortung, die bisher in den Händen von Männern lag, und dienen damit selbst der hart und heldenmütig kämpfenden Front.“ In den nächsten Monaten stieg die Anzahl Minderjähriger im Dienste der Tiroler Luftverteidigung beträchtlich. 1944 waren in Tirol 521 Luftwaffenhelfer tätig, beinahe die Hälfte davon, nämlich 237, kamen aus Baden, Bayern und dem Elsass. Flakbatterien mit Luftwaffenhelfern aus Tirol und Vorarlberg befanden sich in Innsbruck (Tiergarten, Höttinger Au, bei der ETAB – Erste Tiroler Arbeiterbäckerei, Tivoli), Rum, Natters, Lans, Vill, Zirl und Matrei. Dennoch blieb der Flakschutz in und um Innsbruck so wie im gesamten Gau bis Kriegsende ausgesprochen gering. Da das Gebiet bis Herbst 1944 als „nicht stark luftgefährdet“ eingestuft wurde und die Industriegebiete in Ostösterreich weit stärker für Angriffe in Frage kamen, wurde die Luftverteidigung im Osten forciert. Dabei ist zu bedenken, dass die alliierten Großangriffe auf deutsche Städte 1943 im Monat durchschnittlich 7.000 Bombentote forderten. Nach dem verheerenden Schlag der britischen und amerikanischen Luftstreitkräfte gegen Hamburg, der 55.000 Menschen das Leben kostete, hatten die Alliierten nahezu die völlige Luftoberhoheit über Deutschland errungen. Diese „kombinierte Bomberoffensive“ leitete eine neue Phase im Luftkrieg gegen Deutschland ein. Der Luftkrieg ging zwar weiterhin am Gau Tirol-Vorarlberg praktisch spurlos vorbei, der Angriff gegen Friedrichshafen am Bodensee Ende Juni 1943 führte jedoch deutlich vor Augen, dass sich auch das Alpengebiet in Reichweite der alliierten Bomber befand.

Die unmittelbaren Auswirkungen des Luftkrieges auf Tirol bestanden zum einen im verstärkten Zustrom von Flüchtlingen, die zunehmend planmäßig evakuiert wurden. Dabei handelte es sich vorwiegend um Frauen und Kinder aus den bombardierten deutschen Städten. Darüber hinaus wurden im Rahmen der „Kinderlandverschickung“ ganze Schulklassen aus den Städten aufs Land in luftsichere Gaue entsandt. Tirol-Vorarlberg wurde jedenfalls im April 1943 zum „Aufnahmegau“ für Bombenflüchtlinge aus dem Gau Essen. Die Aufnahme durch die Bevölkerung erfolgte bei weitem nicht immer freundlich. Zum anderen begann die deutsche Industrie kriegswichtige Produktion in luftsichere Gebiete zu verlagern und als solches galt der Gau Tirol-Vorarlberg. Gauleiter Hofer erkannte die militärische Gefährdung, die von dieser zunehmenden „Industrialisierung“ ausging. Deshalb war er bemüht, die Ansiedlung reichsdeutscher Betriebe so gut es ging zu hintertreiben. Hofer wollte seinen Machtbereich schützen und direkten Luftangriffen auf seinen Gau vorbeugen. Dazu kam, dass er einerseits die einheimischen Unternehmen unterstützte, die wegen der Rohstoff- und Arbeitskräfteknappheit die Konkurrenz der mächtigen deutschen Konzerne fürchteten. Andererseits wollte der Gauleiter eine Verschlechterung der Stimmungslage in der Bevölkerung vermeiden, die bei einer weiteren Verschärfung der „Ernährungslage“ durch den Zuzug von Flüchtlingen und  Industriebetrieben drohte.  Auch wenn Gauleiter Hofer die Verlagerungen reichsdeutscher Konzerne beschränken konnte, so erfuhr diese Entwicklung auch 1944 durch die Untertagverlagerung von Teilen der Luftwaffenproduktion in den Gau eine Fortsetzung. All dies, verbunden mit dem generellen Arbeitskräftemangel in allen anderen Produktionsbereichen und Wirtschaftssektoren, bedeutete gleichzeitig auch eine explosive Zunahme der Zwangsarbeit in Tirol. Wolfgang Meixner geht seinen Berechnungen nach von 20.000-25.000 ZwangsarbeiterInnen in Tirol aus.

5. Im Visier feindlicher Bomber

Im Juli 1943 begann die Lage in Tirol immer gefährlicher zu werden. Mit der Landung der Alliierten in Sizilien und dem Sturz Mussolinis begann eine neue Phase des Luftkrieges, da nun eine zweite Luftfront von Süden aus eröffnet werden konnte. Damit war der Gau Tirol-Vorarlberg akut gefährdet, lag er doch dadurch mit Süddeutschland in Reichweite der alliierten Luftstreitkräfte. Mit einer Verschärfung des Luftkrieges, in den nun auch Tirol gezogen werden würde, musste man schon deshalb rechnen, weil mit der neuen Lage in Italien das Inntal nun für den Nachschub über den Brenner von strategischer Bedeutung war. Aus diesem Grund wurden die Aktivitäten des Reichsluftschutzbundes verstärkt und ein „Gaueinsatzstab für Sofortmaßnahmen bei Fliegerangriffen“ gebildet. Vor allem aber musste die Bevölkerung psychologisch und propagandistisch auf Bombenangriffe vorbereitet werden.

Mit der „Heimholung“ Südtirols und der Errichtung der Operationszone Alpenvorland (Provinzen Bozen, Trient und Belluno) konnte das NS-Regime noch einmal kurzfristig große Begeisterung in Tirol hervorrufen. Unmittelbar nach dem Waffenstillstand Italiens mit den Alliierten Anfang September 1943 hatte die deutsche Wehrmacht mit der Besetzung Italiens begonnen. Mit diesem Aufmarsch deutscher Truppen und der nunmehrigen enormen Bedeutung der Brennereisenbahn für den Nachschub rückte der Luftkrieg in immer größere Nähe zu Tirol. Bereits am 2. September bombardierten amerikanische Flugzeuge die Bahnhöfe von Bozen und Trient. Bozen hatte in der Folge unter wiederholten Angriffen zu leiden.

Am 1. Oktober 1943 war der Gau Tirol-Vorarlberg erstmals selbst mit dem ganzen Grauen des Luftkriegs konfrontiert. Ein Angriff amerikanischer Bomber auf Feldkirch forderte 210 Tote. Dieses Ereignis führte zu einem ersten, immer noch völlig unzureichenden Umdenken in der politischen Führung. In den letzten Monaten des Jahres 1943 wurden zwar eine Reihe von Luftschutz-Bauvorhaben ausgearbeitet, konkret passierte allerdings nicht sehr viel. Von vorneherein blieben alle kleineren Orte beim Luftschutzbau unberücksichtigt. Aus Mangel an Material, Transportmitteln und Arbeitskräften waren nur solche Städte mit den erforderlichen Mitteln für Luftschutzbauten zu versorgen, die in das „erweiterte Luftschutz-Führerbauprogramm“ aufgenommen worden waren. Damit rächte sich bitter, dass das NS-Regime, das sich auf enorme propagandistische Bemühungen konzentriert hatte und einen beachtlichen bürokratischen Aufwand für den Luftschutz betrieb, nicht rechtzeitig konkrete Bauten in Angriff genommen hatte. Ganz klar hervorzustreichen gilt es, dass das oberste Gebot die Aufrechterhaltung der Kriegsproduktion und die Versorgung der Rüstungsindustrie mit den knappen Ressourcen war. Der Schutz der Bevölkerung durch Investitionen in bauliche Luftschutzmaßnahmen wurde völlig nachrangig behandelt und war im allgemeinen, so der „Gaubeauftragte für die Bauwirtschaft“ in Innsbruck im November 1943, „auf behelfsmäßige Lösungen zu reduzieren“. Die Gaubezirksgruppe Tirol-Vorarlberg des Reichsluftschutzbundes wies dezidiert darauf hin, dass die „Herstellung von Stollen für Luftschutzzwecke gänzlich untersagt“ sei.

Bis Kriegsende wurde den Bedürfnissen der Kriegswirtschaft zu Lasten der Sicherheit der Menschen der Vorrang gegeben. Im November 1943 standen der Innsbrucker Bevölkerung gerade einige Deckungsgräben und Löschwasser-Behälter zur Verfügung. Repräsentativ etwa jene Meldung vom September 1943 des Innsbrucker Bauoberrates August Mignon, in der er festhielt: „Inzwischen wurde der Deckungsgraben längs der Herzog-Sigmunduferstraße durch eine Arbeitsgruppe des Erziehungslagers [Reichenau] fertiggestellt. […]. Auch 40 Mann Wehrmacht waren für Ausschachtungsarbeiten für Luftschutzdeckungsgraben an der Mariahilferstrasse […] beschäftigt.“

Ähnlich katastrophal präsentierte sich die aktive Luftverteidigung des Gaues. Zwar waren im Sommer 1943 einige Flakbatterien in Innsbruck und entlang der Brennerstrecke aufgestellt worden, doch angesichts der steigenden Bedrohung des Gaugebietes entsprach die Flakverteidigung Innsbrucks in keiner Weise den Notwendigkeiten. Die 15. US-Luftflotte wurde nach der Eroberung der süditalienischen Flugplätze in der Gegend von Foggia stationiert, von wo aus sie jene Ziele im Süden Europas und im Deutschen Reich angreifen konnte, die von England aus nicht oder nur schwer erreichbar gewesen waren. Dadurch gelang es den Alliierten bis Anfang Dezember 1943 die totale Lufthoheit über dem italienischen Frontgebiet zu erlangen. Der verheerende Angriff auf Bozen am 2. Dezember, dem weitere zur Zerstörung der deutschen Nachschublinien auf der Brennerstrecke folgten, machte klar, dass eine Bombardierung des Verkehrsknotenpunktes Innsbruck über kurz oder lang bevorstand. Trotz dieser enorm gefährlichen Situation verfügte die Flakverteidigung lediglich über drei Großbatterien in Innsbruck-Tiergarten, Rum und Vill. Auch die personelle Schwäche war augenscheinlich. Da bereits im Herbst 1942 aufgrund des Einbruchs an der Ostfront 120.000 Mann der Luftwaffe dem Ostheer zugeführt worden waren, musste man nun bei der Luftverteidigung auf Halbwüchsige zurückgreifen. Anfang Dezember 1943 wurden die ersten 50 Luftwaffenhelfer aus Innsbruck mit Schülern aus Wasserburg und Rosenheim in die Batterie Innsbruck-Tiergarten gemeinsam mit rund 200 sowjetischen Kriegsgefangenen in Stellung gebracht. Zu den Lebensbedingungen dieser Zwangsarbeiter stellte ein ehemaliger Innsbrucker Flakhelfer fest:

„In der Flakstellung in Innsbruck-Tiergarten lebten oder vegetierten in einigen Zelten ca. zehn russische Kriegsgefangene. […]. Die Verpflegung der Gefangenen war schlecht. Bei geringem Anlass gab es ein oder zwei Tage Bunker, das heißt, sie wurden in einen Munitionsbunker gesperrt. Ein nach oben führender Luftschacht versorgte sie mit Sauerstoff. Luftwaffenhelfer erleichterten einmal das Los der Gefangenen, indem sie Kartoffeln, eine Kerze und Streichhölzer in den Luftschacht warfen.“

6. Die Bombardierung Innsbrucks

Am 15. Dezember 1943 nutzte die 15. US-Luftflotte erstmals ihre durch die neuen Basen im Raum Foggia verbesserte strategische Lage und startete den ersten und verhängnisvollsten von insgesamt 22 Angriffen auf Innsbruck. 48 B.17 („Fortress“) Bomber und 39 P.38 Jäger warfen, um ihr Angriffsziel der Zerstörung der Bahnanlagen, 126 Tonnen Bomben über der Gauhauptstadt ab. Die Bilanz war verheerend: 269 Tote, 500 Verwundete, 1.627 Obdachlose, 45 Häuser total zerstört, 92 mittelschwer und 203 leicht beschädigt. Am Ärgsten in Mitleidenschaft gezogen wurden die Stadtteile Wilten mit 336 und die Innenstadt mit 127 Schadensfällen. Der erste Innsbrucker Bürgermeister der Zweiten Republik, Anton Melzer, stellte rückblickend fest, dass der Tod und das Grauen Triumphe gefeiert habe. Unter den Toten waren Frauen und Kinder zu beklagen, „manchmal ganze Familien bis auf den Vater oder den Bruder, der an der Front stand. Aus der schönen Stadt waren große Teile in Wilten, in der Maria-Theresien-Straße und in der Altstadt ein Trümmerhaufen geworden. Ahnungslos waren die Menschen in ihren Wohnstätten vom Tod umfangen, in einem Gasthaus in Wilten eine ganze Hochzeitsgesellschaft.“ Ein 16jähriger Flakhelfer erinnerte sich an diese verhängnisvollen Stunden folgendermaßen:

„Wie wir den ersten Schuss abgegeben haben, das haben wir nie geahnt [.,.] das hat ein Feuer, das hat einen Krach gegeben. Wir sind durch das Schießen viel mehr erschrocken als durch die Flugzeuge, die drüber geflogen sind, von denen wir ja gewusst haben, dass sie Bomben geladen haben, und dass da ein Inferno losgehen kann. Mir hat’s gleich den Stahlhelm heruntergerissen und nach sechs Schuss ist die Mündungsbremse vorn gebrochen und unser Geschütz war kaputt. Die anderen haben inzwischen fleißig weitergeschossen […].“

Für die mangelhafte Organisation ist bezeichnend, dass in dieser Situation ein guter Teil der Last der Luftverteidigung auf den Schultern 15- bis 17jähriger Schüler lag, die erst seit wenigen Tagen in ihren Stellungen eingesetzt waren und zudem keinerlei Erfahrungen im direkten Kriegseinsatz hatten. Ein Augenzeuge schilderte den Angriff auf Innsbruck so:

„Das Rauschen der niedergehenden und explodierenden Bomben vergesse ich nie! Wir sahen die explodierenden Geschoße der Innsbrucker Flak, die am alten Innsbrucker Flughafen, etwas östlich von Innsbruck, stationiert war. Die Flakabwehr war wohl überfordert, schoss laufend daneben und die amerikanischen Flugzeuge, alles viermotorige Bomber, konnten ohne Verluste weiterfliegen.“

Wegen des veralteten Geschützmaterials musste sich die Tiroler Luftabwehr von allem Anfang an mit Sperrfeuerschießen und Abdrängen des Gegners begnügen. Die Ursache für die verheerenden Auswirkungen des ersten Angriffs auf Innsbruck, bei dem mehr als die Hälfte der Opfer aller 22 Angriffe zu beklagen waren, lag aber in erster Linie im Versagen des Warnsystems und im Mangel an bombensicheren Stollen. Um 12 Uhr 30 war ohne Vorwarnung Fliegeralarm gegeben worden, um 12 Uhr 38 fielen bereits die ersten Bomben. Die NS-Führung versuchte hingegen die Schuld auf die Bevölkerung und ihr luftschutzwidriges Verhalten abzuwälzen. Dazu stellte die Innsbrucker Nachrichten fest:

„Der gestrige Angriff aber war wohl auch für jene eine grausame aber eindringliche Warnung, alle Forderungen und Bestimmungen im eigenen Interesse auf das genaueste zu befolgen, die vielleicht bisher noch geglaubt haben, daß ihnen doch nichts geschehen würde. Je gewissenhafter jeder einzelne seinen Luftschutzpflichten genügt, um so eher kann der Schaden in Grenzen gehalten werden.“

Während also der Leichtsinn der Bombenopfer für die große Anzahl an Toten verantwortlich gemacht wurde, zeichnete die NS-Presse im Gegensatz dazu das falsche Bild eines auf diese Katastrophe wohl vorbereiteten Krisenstabes und einer gefassten Bevölkerung. Mit dieser Inszenierung gelang es ihr auch zunächst, von den tatsächlichen Ursachen abzulenken und viele InnsbruckerInnen mit Widerstandsparolen hinter sich zu scharen angesichts der Bedrohung durch diese „Terrorangriffe“ eines „dämonischen Gegners“. Das unsägliche Leid, das die Bombardierung von ZivilistInnen hervorrief, führte zu einer heftigen Erbitterung der Innsbrucker Bevölkerung, die von der NS-Propaganda geschickt für ihre Zwecke ausgenutzt wurde. Die Innsbrucker Nachrichten schrieben:

„Das Leid, das so viele deutsche Städte getroffen hat, ist nun auch über unsere Stadt gekommen, aber hat eine Bevölkerung gefunden, die ihre Nerven behalten hat und sofort bereit war, mit allen Kräften einzuspringen, um die Schäden einzudämmen. […]. Das Hadern mit dem Schicksal oder vollends das Resignieren ist nutzlos einem Gegner gegenüber, der haßerfüllt nur die Zerstörung und Vernichtung will. Diesem Haß können wir nur unseren eisernen Willen entgegensetzen, mehr noch als bisher alle unsere Kräfte für den Sieg einzusetzen, der allein dieser sinnlosen und barbarischen Kampfesweise ein Ende bereiten kann. Vor allem jene vom Terror Betroffene wissen, daß nur unser Sieg ihnen wieder zu Hab und Gut verhelfen kann.“

Am 19. Dezember hielten die Spitzen des Staates und der Partei vor dem Neuen Landhaus eine Abschiedsfeier für die Bombentoten ab. Mit geschickter Regieführung wurde versucht, den Widerstandsgeist der Bevölkerung zu stärken und den Endsieg zu beschwören. Dazu Gauleiter Franz Hofer in seiner Rede:

„Auch für all diese Opfer gilt für uns das Wort ‚Was uns nicht umwirft, macht uns nur noch härter!‘ Jedermann kann es in Innsbruck überall sehen, hören und miterleben: so furchtbar der Angriff und seine Folgen waren, er hat uns nicht umgeworfen! […]. Dem letzten von uns hat das Sterben unserer Kameraden neuerdings eingehämmert, daß wir eine große Schicksalsgemeinschaft sind, eine Gemeinschaft im Hassen, im Kampf und im letzten Einsatz.“

Aufgrund des Debakels der Innsbrucker Luftverteidigung wurden die Flakeinheiten umgruppiert und deutlich verstärkt. Die tonnenschweren Geschütze mussten teils händisch ans andere Ende der Stadt gezogen werden, dabei kamen auch ausgehungerte Häftlinge des „Arbeitserziehungslagers Reichenau“ zum Einsatz. Dabei konnte es auch vorkommen, dass sie von der Wachmannschaft mit Gewehrkolbenschlägen zur Arbeit angetrieben wurden. Ehemalige Flakhelfer berichten von „brutalen Kapos“, die die Häftlinge bewachten. Sie waren entsetzt über die Behandlung dieser „ausgemergelten und geschundenen Leute“. Einige setzten dabei auch Zeichen der Mitmenschlichkeit: „Da sie uns leid taten, steckten wir ihnen heimlich hauptsächlich Brot zu, das sie unter ihrer Arbeitsbluse verschwinden ließen und meistens in der Latrine verzehrten.“

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch ausländische Arbeitskräfte und speziell Häftlinge des „Arbeitserziehungslagers Reichenau“ für den gefährlichen Aufräumeeinsatz und die Blindgängerbeseitigung nach Bombenangriffen in Innsbruck, aber auch außerhalb der Gauhauptstadt, eingesetzt waren. Über die diesbezüglichen Gepflogenheiten im Lager berichtet ein Südtiroler Häftling folgendes:

„Zu diesen Sprengkommandos sollten vorschriftsgemäß vorerst nur Freiwillige verwendet werden; als sich dann zu wenige meldeten, wurden die Leute einfach dazu kommandiert. Vor allem Juden u. Ausländer. Inländer sollten dazu überhaupt nicht hergenommen werden. Ich erinnere mich aber, dass z.B. einmal zur Auffüllung der Zahl eines solchen Kommandos (von uns Himmelfahrtskommando genannt) von Freiberger auch ein Bibelforscher aus Bischofshofen dazu kommandiert worden ist, mit der Bemerkung ‚um den ist auch nicht schade‘. Und tatsächlich ist dieser dann bei der Bergung eines Blindgängers zugrunde gegangen, und zwar war dies bei einem der Angriffe auf die Brixlegger Eisenbahnbrücke.“

Einige Monate später, im Mai 1944, ordnete das für Innsbruck zuständige Luftgaukommando VII an, für die Blindgängerbeseitigung inländische Strafgefangene oder KZ-Häftlinge heranzuziehen. An diese Anordnung hielt man sich in Innsbruck aber nur teilweise. Die Aufräumearbeiten erfolgten in der Regel so, dass Spezialisten des Luftgaukommandos oder Feuerwerker des Heeres die Entschärfung vornahmen, während Insassen des „Arbeitserziehungslagers Reichenau“ die Bergung und alle vorbereitenden Arbeiten vornahmen.

Nach dem ersten Bombenangriff auf Innsbruck ordnete der Leiter der Geheimen Staatspolizei Innsbruck, Werner Hilliges, im Einvernehmen mit dem stellvertretenden Gauleiter und dem Polizeipräsidenten als örtlichen Luftschutzleiter

„den Einsatz von einigen 100 Arbeitserziehungshäftlingen aus Reichenau für die dringlichsten Rettungs- und Aufräumungsarbeiten in Innsbruck [an]. Der Einsatz von etwa 200 oder 300 Arbeitern erfolgte noch am gleichen Nachmittag, ebenso der Beginn der Beseitigung der Blindgänger.[…]. Die Bewachung der einzelnen Bergungstrupps wurde wie üblich durch Wachmannschaften des Arbeitslagers Reichenau (SS-Reservisten, Gendarmen oder Schutzpolizisten) durchgeführt.“

Sieben ausgehungerte 17-18jährige Häftlinge – laut Gestapochef Hilliges drei Italiener, zwei Ostarbeiter oder Polen und zwei Jugoslawen – wurden erhängt, weil sie sich bei den Aufräumearbeiten Kleidung besorgt hatten und beim heimlichen Verzehr von Brot und Marmelade erwischt worden waren. Damit war für das NS-Regime der Tatbestand des Plünderns gegeben. Hilliges setzte sich daraufhin mit dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin per „Blitzfernschreiben“ ins Einvernehmen und erwirkte das Todesurteil für die jungen Burschen: „Die Exekution ließ ich durch den Lagerkommandanten mit Hilfe von einigen Polen durchführen. Ich selbst war bei dieser Exekution nicht zugegen.“ Am nächsten Tag erschien „zur Warnung und Abschreckung“ eine Presseveröffentlichung, „da in Innsbruck täglich mit neuen Luftangriffen gerechnet werden mußte“:

„Plündern kostet das Leben

Wie die Geheime Staatspolizei mitteilt, wurden nach dem Terrorangriff in Innsbruck auch Arbeitskräfte zum Aufräumen und Bergen herangezogen. Trotzdem diesen Ausländern ausdrücklich bekannt gegeben worden war, dass jede Plünderung Todesstrafe nach sich ziehen werde, wurden sieben fremdländische Arbeiter auf frischer Tat beim Plündern betroffen. Sie haben sich u.a. Lebensmittel und Bekleidungsgegenstände angeeignet. Die Plünderer wurden am 16. Dezember 1943 zum Tode verurteilt; die Strafe wurde noch am gleichen Tage durch Erhängen vollstreckt.“

Der NS-Terror machte beim Vorwurf der Plünderung aber auch vor TirolerInnen nicht Halt. Da eine 34jährige Frau in Mötz aus dem Koffer eines Innsbrucker Bombenflüchtlings Kleider im Wert von 400 RM gestohlen hatte, wurde sie vom Sondergericht Innsbruck zum Tode verurteilt.

Noch bevor die allerschlimmsten Schäden behoben worden waren, erfolgte bereits der nächste Schlag. Bei diesem zweiten Angriff auf Innsbruck und den ersten auf Schwaz am 19. Dezember 1943 war man in der Gauhauptstadt jedoch deutlich besser vorbereitet. Zwar verlief die Alarmierung wieder nicht planmäßig, die lange Vorwarnzeit von nahezu einer Stunde verhinderte jedoch eine ähnliche Katastrophe wie drei Tage zuvor. Die Großbatterien Vill, Rum und Tiergarten bekämpften die feindlichen Bomber aus 36 Geschützen mit höchstem Munitionseinsatz und deutlich effizienter als beim ersten Angriff. Dazu kam, dass auch deutsche Jäger die amerikanischen Maschinen attackierten. Das Ergebnis der Luftkämpfe und des Flakeinsatzes waren fünf abgeschossene US-Bomber. Die deutsche Luftwaffe verlor 24 Flugzeuge sicher und 14 weitere wahrscheinlich. Es sollte allerdings das erste und letzte Mal bis Kriegsende bleiben, dass deutsche Maschinen zur Luftverteidigung des Gaues eingreifen konnten. Die Folgen dieses Angriffs waren 70 Tote und wieder schwere Treffer im Haupt- und Westbahnhof. Die Bombenschäden verteilten sich im überwiegenden Maß auf Wilten. Neben Pradl war kein weiterer Stadtteil mehr betroffen. Da die Alliierten bei ihren Angriffen auf Innsbruck in erster Linie die Infrastruktur der Bahn zu zerstören versuchten, war insgesamt gesehen der Stadtteil Wilten das am meisten bombardierte Viertel, dann folgte mit einigem Abstand Pradl.

Nach den beiden Bombenangriffe kam es zu einer Massenflucht der Innsbrucker Bevölkerung, die nun ähnliche Erfahrungen machen musste wie die deutschen Bombenflüchtlinge. Die Aufnahme der städtischen Flüchtlinge am Land, insgesamt handelte es sich fast um ein Drittel der Bevölkerung der Gauhauptstadt, war des öfteren nicht gerade freundlich. Besonderes Augenmerk wurde auf die Evakuierung der Schulen und ihrer Verlegung ab der vierten Klasse Volksschule im Zuge der „erweiterten Kinderlandverschickung“ (KLV) aufs Land gelegt. Die Wiederaufnahme des Unterrichts erfolgte erst im Februar 1944. Insgesamt dürften mindestens 135 KLV-Lager an 62 Orten im Gau Tirol-Vorarlberg eingerichtet worden sein.

Noch vor den ersten Bombenangriffen auf Innsbruck hatte die Schulbehörde angesichts der fehlenden Schutzbauten für eine Entlassung der SchülerInnen im Ernstfall plädiert und hatte gemeint: „Durch die Zerstreuung könnte unter allen Fällen eine katastrophale Massenwirkung bei einem Fliegerangriff, die sich in erster Linie politisch ungeheuer ungünstig auswirken könnte, vermieden werden.“ Damit gestand das Regime auch intern ein, dass die Tiroler Schuljugend im Falle eines Luftangriffes auch nicht einmal annähernd geschützt werden konnte. Da etwa die Volksschule Arzl über keinen Luftschutzkeller verfügte, mussten die Kinder mit weitem Schulweg bei Fliegeralarm mit jenen Eltern mitgehen, die in der Nähe wohnten und sich selbst einen Schutzgraben ausgehoben hatten. Eine Kommission stellte jedoch fest, dass diese Befestigungen „die reinsten Massengräber“ waren. Diese untragbaren Zustände führten innerhalb der Elternschaft, das heißt den Müttern, zu großer Unsicherheit. Teile der Mühlauer Bevölkerung samt der Volksschullehrerin beschwerten sich über die „verbrecherisch aufzufassende Gefährdung des Lebens der Kinder“. In der Folge waren viele Eltern nicht mehr bereit, den luftschutzmäßigen Anweisungen der Lehrkräfte Folge zu leisten. So ließen viele Mütter aus Igls ihre sechs- bis neunjährigen Kinder nicht mehr mit der Lehrerin in den Stollen gehen, sondern holten sie bei Flugalarm ab: „In der Stunde der Gefahr wollen wir alle beisammen sein. Die Kinder gehören zur Mutter!“

Da bis Juni 1944 keine Angriffe mehr auf Innsbruck erfolgten, blieb Zeit, um die Schlagkraft der Luftverteidigung zu erhöhen. Trotz Verstärkungen der Luftabwehr blieb die aktive Flugabwehr weiterhin materiell relativ schwach ausgestattet. Personell erfolgte eine Ausweitung des Einsatzes der Schuljugend und von Lehrlingen an der Flak. Gegen Kriegsende, im November und Dezember 1944, wurde eine größere Zahl ungarischer Soldaten und Flakbatterien aus Italien zugeteilt.

7. Der Bau der Luftschutzstollen

Erst im Jänner 1944 ging das NS-Regime energisch daran, Luftschutzstollen zu bauen, die sicheren Schutz boten. Bis dahin waren die NS-Behörden über grundlegende Konzeptionen und die Errichtung von Deckungsgräben nicht hinausgekommen. Die mangelhafte Vorbereitung lag darin begründet, dass zwar Materialien zur Verfügung gestanden waren, man sich aber mit Provisorien und behelfsmäßigem Ausbau von Kellern begnügt hatte. Generell lässt sich folgendes festhalten:

„Der Luftschutzbau als Hauptbestandteil der passiven Luftverteidigung war […] praktisch in allen Phasen des Krieges vernachlässigt worden. Dies galt auch und vor allem für Tirol-Vorarlberg. Zunächst hatte man den Luftschutz in der Euphorie der militärischen Erfolge als unwichtig erachtet. Auch nachdem die ersten Anzeichen einer direkten Luftkriegsbedrohung deutlich geworden waren, gab man den Erfordernissen der Rüstungswirtschaft weiterhin den Vorrang. Gegen Ende des Krieges waren die Ressourcen bereits zu knapp und die allgemeinen Probleme zu groß.“

Nach dem Entschluss zum Stollenbau konnten innerhalb weniger Monate mehrere Kilometer Stollen in der Gauhauptstadt errichtet werden, wie Konrad Arnold noch ausführen wird. Von den ursprünglich geplanten 11.332 Stollenmetern konnten 8.901 Meter realisiert werden. Diese rasche Durchführung des Stollenbaues ist unter anderem auf die Konzentration der Mittel auf Innsbruck zurückzuführen. Andere Städte im Gau oder gar kleinere Gemeinden wurden diesbezüglich arg benachteiligt und waren auf den „Selbstschutz“ angewiesen. Im Grunde genommen hing die Frage der Errichtung von Luftschutzbauten von der Verteilung der knappen Ressourcen ab, die die Kriegslage und die vorrangige Beteilung der Rüstungsbetriebe zuließen. Aufgrund des eklatanten Arbeitskräftemangels wurden diese in aller Eile vorangetriebenen Arbeiten zum überwiegenden Teil von Fremdarbeitern, Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen bzw. Häftlingen des „Arbeitserziehungslagers Reichenau“ unter Aufsicht örtlicher Baufirmen ausgeführt. Nach den Bombenangriffen auf Innsbruck ordnete Gauleiter Hofer in seiner Eigenschaft als Reichsverteidigungskommissar noch Ende Dezember 1943 folgendes Programm für Innsbruck an:

 „1.) Sofortige Fertigstellung der bereits in Angriff genommenen baulichen LS-Maßnahmen und ihre programmäßige Fortsetzung;

2.) Bau von LS-Stollen für jenen Teil der Bevölkerung, der anderweitig nicht gesichert werden kann;

3.) Durchführung der baulichen Sofortmaßnahmen in der nicht gefährdeten Zone.“ […].

Ad 1.) Der hier notwendige Arbeiterstand wird auf 400 geschätzt und kann auch erreicht werden. In diesen Maßnahmen sind auch die Löschwasserbehälter mit inbegriffen. [….].

Die Heranziehung des Baugewerbes aus den Kreisen außerhalb Innsbrucks sowie des erforderlichen Einsatzes des Handwerks wird in der 1. Woche Jänner im Einvernehmen mit dem Gauvertrauensmann Walter Fritz in die Wege geleitet.“

Hofer ernannte seinen Gauamtsleiter Leo Tusch zum „Gaubeauftragten für Luftschutzmaßnahmen“ (bzw. Luftschutzstollenbauten) und zum Leiter des Gaueinsatzstabes. Dazu führte Tusch aus:

„Nach Anweisung des Gauleiters und Reichsstatthalters habe ich vorerst die zentrale Leitung der im gesamten Gaugebiet durchzuführenden Luftschutzstollenbauten übernommen und trage so dem Gauleiter gegenüber die Verantwortung für die gesamte Organisation sowie für die rascheste und bestmögliche Durchführung dieser Maßnahmen. […].

1.) Jede Durchführung von Luftschutzstollenbauten bedarf, unbeschadet jeder anderen Genehmigungspflicht, meiner persönlichen Genehmigung.

2.) Die Standortauswahl für den Luftschutzstollen wird von mir im Einvernehmen mit dem Kreisleiter, dem Leiter der Landesraumordnung, Pg. Hartwig, und dem jeweiligen Bürgermeister getroffen.

3.) Um mit der Durchführung der Luftschutzstollenbauten sofort beginnen zu können, werden vorläufig skizzenmässige Projekte erstellt, mit deren Ausarbeitung ich Oberbaurat Mignon beim Stadtbauamt Innsbruck beauftragt habe. […].

4.) Die Auftragserteilung sowie der Abschluss der Bauverträge erfolgt durch den Oberbürgermeister, mit dem auch die einzelnen Unternehmer die Abrechnung durchzuführen haben. Die Überprüfung der Abrechnung sowie die vorschussweise Bezahlung der Leistungen erfolgt durch den Oberbürgermeister, der die gesamte Abrechnung mit den vorgeschriebenen Unterlagen aufzustellen und der zuständigen Zahlungsstelle zuzuführen hat. […].

5.) Mit der Bauleitung beauftrage ich Herrn Oberbaurat Mignon, da diese unmittelbar die Projektierung und die Abrechnung durchzuführen hat.

6.) Die Anforderung von sämtlichen Kontingenten ist über Oberbaurat Mignon an meine Dienststelle zu richten. […]. Die Zuteilung erfolgt unmittelbar durch mich. Die Bearbeitung der Kontingente führt mein Mitarbeiter, Pg. Ing. Binder, durch.

7.) Die Anforderung von Arbeitskräften ist gleichfalls an meine Dienststelle zu richten und erfolgt eine direkte Zuteilung von Arbeitskräften vonseiten anderer Stellen nicht. Zur Beschaffung von Arbeitskräften steht mir Pg. Dr. Worch zur Verfügung, der den Einsatz von Arbeitskräften bei sämtlichen Luftsicherungsbauten lenken wird.“

Durch die Ernennung zu Hofers „Gaubeauftragten für Luftschutzmaßnahmen“ konnte sich Tusch im Machtkampf gegen den dem Rüstungsministerium Albert Speers unterstehenden „Generalbevollmächtigten für die Regelung der Bauwirtschaft im Gau Tirol-Vorarlberg“, der vergeblich auf seine vorrangige Zuständigkeit gepocht hatte, durchsetzen. Die Schreiben dieser weiteren für die Luftschutzbauten maßgeblichen Dienststelle wurden von Oberbaurat Franz Thurner unterzeichnet, der in der Abteilung V (Bauwesen) der Reichsstatthalterei unter Regierungsdirektor Moritz Kojetinsky arbeitete. Im April 1944 fasste Thurner die Ausgangssituation so zusammen:

„Die Aufnahme der Gauhauptstadt Innsbruck in das LS-Führerprogramm-Ausweitung und ihre Einreihung als LS-Ort I. Ordnung sowie ihre äußerst gefährdete Luftlage im süddeutschen Raum machten es nach Eintritt der Ereignisse an der südlichen Gaugrenze (gemeint ist der Bündniswechsel Italiens; H.S.) notwendig, schnellstens bauliche LS-Maßnahmen für die schwer bedrohte Bevölkerung zu ergreifen, welche fast bis Mitte des Jahres 1943 verboten waren.

Nach den Bombenangriffen auf Innsbruck vom Dezember 1943, bis zu welchem Zeitpunkte die baulichen Maßnahmen sich allein auf den Ausbau von Kellern zu LS-Räumen und die Herstellung von Splitterschutzgräben erstreckten, ordnete der Gauleiter, als Reichsverteidigungskommissar, die Anlage von Stollen in der Peripherie der Stadt an. Es sind 20 Stollen geplant, welche vom Stadtbauamt des Oberbürgermeisters von Innsbruck in meinem Auftrage ausgeführt werden.“

Im Sinne der NS-Polykratie entstand eine typische Mehrgleisigkeit diverser Dienststellen des Staates, der Stadt und der Partei (z.B. siehe oben den Sonderauftrag Gauleiter Hofers für Tusch), die mit dem Luftschutzstollenbau beschäftigt waren. Im Detail ist hier auf die Darstellung Konrad Arnolds zu verweisen.

Das größte Problem, das es zunächst zu bewältigen galt, stellte der Arbeitskräftemangel dar. Stadtbaudirektor Kininger, der zum Leiter der „Sofortmaßnahmen Innsbruck-Stadt“ (Beseitigung der gravierendsten Bombenschäden etc.) ernannt wurde, unterstrich, „daß er zu wenig Arbeitskräfte habe und daß unbedingt eine Verstärkung notwendig sei, wenn die dringendsten Sofortmaßnahmen durchgeführt werden sollen.“ Im gleichen Sinne äußerte sich die Deutsche Reichsbahn in Innsbruck. Daraufhin erteilte Gauleiter-Stellvertreter Herbert Parson an den Gaubeauftragten den Auftrag, Arbeiter von den Großkraftstellen der Vorarlberger Illwerke, der Westtiroler Kraftwerke und des Gerloskraftwerkes abzuziehen und diese in Innsbruck in Einsatz zu bringen. Die 200 Arbeitskräfte, die die Illwerke stellen mussten, waren für die Reichspost, die E-Werke und das Städtische Gaswerk gedacht. Allerdings waren 30 Mann für die Stollenbauten abgezweigt worden. Da der Bedarf an Arbeitskräften enorm war, nützte das Stadtbauamt die Situation und wies sich über 50 Arbeitskräfte „zur eigenen Verfügung bzw. Verteilung auf die beschäftigten Baubetriebe“ zu. Das Gauarbeitsamt wusste über die ersten 155 Arbeiter des Vorarlberger Kontingents zu berichten:

„Bei den am 3.1. und 4.1. eingetroffenen Transporten befanden sich zusammen 64 polnische Arbeitskräfte der bezirklichen Arbeitsgemeinschaft Wartheland, die bei den Vorarlberger Illwerken im Firmeneinsatz tätig sind. Der Leiter des Firmeneinsatzes der Bezirksgemeinschaft Wartheland, Herr Brust, wird sich dieser Tage […] mit den Einsatzbetrieben in Innsbruck in Verbindung setzen, um diese polnischen Arbeitskräfte der Bezirksarbeitsgemeinschaft zu erhalten und das besondere Abrechnungsverfahren  mit den Betrieben in Innsbruck festzulegen.“

Totaler Arbeitskräftemangel – diese brisante Problematik überschattete auch die Luftschutzmaßnahmen und speziell die Stollenbauten in Innsbruck. Die für die Luftschutzbauten Verantwortlichen wussten sich generell durch zwei Maßnahmen zu helfen: einerseits durch den Einsatz ausländischer Arbeiter sowie von Häftlingen des „Arbeitserziehungslagers Reichenau“ und andererseits durch die zeitweise Umgruppierung von Arbeitskräften für die nun Priorität genießenden Stollenbauten. Dabei ist weiters zu bedenken, dass es in der Reichenau neben dem eigentlichen „Arbeitserziehungslager“ der Gestapo ein Kriegsgefangenenlager mit bis zu 500 Personen und ein weiteres Lager der Deutschen Reichsbahn mit rund 200 Menschen gab.

Zeitweise erinnerten die ständigen Improvisationen beim Arbeitskräftebedarf an ein Nullsummenspiel. So beklagte der Direktor der Innsbrucker Stadtwerke, Otto Wurmhöringer, die dadurch auftretenden Probleme bei der Beseitigung von Kabelschäden nach den ersten Bombenangriffen auf Innsbruck: „Wir hatten Leute der Wehrmacht, der O.T. (gemeint ist die ‚Organisation Todt‘; H.S.), von den Bauunternehmungen Franz Schmidt, Döderer, Wayss & Freytag, Hinteregger und schließlich eine Partie politischer Strafgefangener.“ Bei diesem Verschieben von Arbeitskräften und speziell von Zwangsarbeitern sowie Kriegsgefangenen entwickelte sich ein heftiges Gerangel um die begehrten Arbeiter. So setzte etwa der Gaubeauftragte des Generalbevollmächtigten für die Bauwirtschaft den „Betriebsführer“ des Tiroler Erzbergbaues St. Jodok im Februar 1944 von folgendem in Kenntnis:

Für die Wiederinstandsetzung des bombenbeschädigten Sillwehres in Innsbruck „verfüge ich einvernehmlich mit dem Gauvertrauensmann, Einsatz Bombenschäden‘, Baumeister Walter Fritz und dem Gaubeauftragten Hauptausschuß ‚Bau‘, Obering. Angerer, daß von Ihrem Bauvorhaben […] 12 Ostarbeiter […] zum Leiter der Sofortmaßnahmen in Innsbruck abgeordnet werden“.

Bereits zwei Monate später urgierte Guth „seine“ Zwangsarbeiter: „Wir sind nun gezwungen, die mit Ihrem Schreiben vom 17.2.44 abberufenen 12 Ostarbeiter zu unserer Baustelle zurückzubeordern, sodass dieselben tunlichst am 2.5.1944 ihre Arbeit bei uns wieder aufnehmen können.“

Im November 1944 meldete das Innsbrucker Stadtbauamt, dass bei den Sofortmaßnahmen für die Versorgungsleitungen neben den eigenen Trupps und sonstigen Arbeitern „in der Hauptsache Häftlinge“ eingesetzt waren. Der für Sofortmaßnahmen nach den Angriffen in Matrei Verantwortliche beklagte zwei Wochen vor Kriegsende: „Nun spießt es sich aber überall mit Hilfskräften, gar nach den schweren Angriffen vom 17.4., wo Matrei wieder schwer litt, zudem aber auch die Reichsbahn in Matrei und St. Jodok. Man will uns sogar die wenigen Ostarbeiter […] auch noch abziehen“.

Auch zahlenmäßig lässt sich die massenweise Heranziehung von Fremdarbeitern, Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen für den Bau der Luftschutzstollen belegen. Im März 1944 waren im Gau Tirol-Vorarlberg bei derartigen Bauten neben 111 inländischen Arbeitskräften 609 Fremd- und Zwangsarbeiter sowie 126 Kriegsgefangene eingesetzt. Die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte betrug also das Sechseinhalbfache der Zahl der Inländer. Noch weiter aufgeschlüsselt ist festzustellen, dass zu diesem Zeitpunkt in Vorarlberg nur ein Stollenprojekt in Bregenz mit vier Inländern und 14 Kriegsgefangenen auf dem Weg war. Allein auf die Gauhauptstadt Innsbruck bezogen waren neben 75 inländischen Arbeitskräften 491 Fremd- und Zwangsarbeiter sowie 112 Kriegsgefangene im Stollenbau im Einsatz. Dabei ist festzuhalten, dass in diesen Zahlen noch gar nicht die Arbeitskräfte für die Stollenbauten bei den Großbaustellen des Gaues beim Vermuntwerk und dem Rellstollen der Vorarlberger Illwerke, beim Gerloskraftwerk der TIWAG, bei den Ötzkraftwerken der Luftwaffe und der Westtiroler Kraftwerke sowie für die Wasserfassung Mühlau der Gemeinde Innsbruck enthalten sind. In den soeben genannten Stollenbauten arbeiteten neben 58 Inländern weitere 783 Ausländer und 130 Kriegsgefangene. Auch hierbei konnte Tirol den Löwenanteil für sich verbuchen, nämlich 25 Inländer, 576 Fremd- und Zwangsarbeiter sowie alle 130 Kriegsgefangene. Baufirmen, die für die Gemeinde Innsbruck in Mühlau werkten, beschäftigten neben acht Inländern 23 Ausländer und 28 Kriegsgefangene.

Eine Liste über die bei Luftschutzbauvorhaben eingesetzten Arbeitskräfte mit Stichtag 16. Dezember 1944 weist für den Gau Tirol-Vorarlberg 323 Inländer, 638 Ausländer und 204 Kriegsgefangene aus. Die jeweiligen Zahlen für Tirol können mit 187 Inländern, 536 Ausländern und 85 Kriegsgefangenen angegeben werden, während sich jene für Innsbruck auf 113 inländische Arbeiter, 511 Fremd- und Zwangsarbeiter sowie 54 Kriegsgefangene belaufen.

Die Tiroler Tageszeitung berichtete am 8./9. Jänner 2000 nach Informationen von Erwin Schreder aus dem Landesarchiv von einer handschriftlichen Aufstellung vom 22. Jänner 1945 über den Bau der Luftschutzstollen in Innsbruck folgendermaßen: „Demnach waren unter den 540 eingesetzten Arbeitern 485 Zwangsarbeiter. 45 deutschen Facharbeitern standen 22 Ausländer gegenüber, und auf die sechs deutschen Hilfsarbeiter kamen 263 Zwangsarbeiter und vier Kriegsgefangene.“

All diese Zahlen demonstrieren eindrucksvoll die große Bedeutung von Zwangsarbeit beim Bau von Luftschutzstollen zur Sicherung der Tiroler und ganz besonders der Innsbrucker Bevölkerung vor Bombenangriffen.

8. Ein Ende mit Schrecken

Seit Juni 1944 kam es in Innsbruck wieder zu Bombenangriffen, allerdings mit verhältnismäßig wenigen Toten. Diesmal kamen mit 37 B.24 Bombern („Liberator“) der zweite schwere Bombertyp neben derf B.17 zum Einsatz. Der „Liberator“ und die „Fortress“ mit jeweils zehn Mann Besatzung und einem Fassungsvermögen von drei Tonnen Bomben stellten die Hauptbedrohung für Innsbruck dar. Trotz des Angriffs auf die Gauhauptstadt waren Süddeutschland und der Osten Österreichs bereits deutlich stärker in Mitleidenschaft gezogen worden. Der Schwerpunkt der Operationen der 15. US-Luftflotte war aber noch am Balkan gelegen. Dies änderte sich mit 1. Oktober, da nun eine stärkere Konzentration auf die Brennerroute erfolgte. Ab diesem Zeitpunkt stand nicht mehr nur das Verkehrsnetz in Deutschland, sondern auch in Österreich im Mittelpunkt der feindlichen Angriffe. Dadurch rückte Tirol verstärkt in das Blickfeld der US-Bomber. Die Bombenangriffe entlang der Brennerstrecke, die nun zu einem Hauptangriffsziel wurde, nahmen derart an Intensität zu, dass rasch offenkundig wurde, dass der Gau Tirol-Vorarlberg eine „Festung ohne Dach“ war und die Flakabteilungen der alliierten Luftflotte und ihren Bombenteppichen nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hatten. Immer wieder stellte sich auch die Unzulänglichkeit der passiven Luftverteidigungsmaßnahmen heraus, etwa wenn bei einem Bombenangriff wieder einmal die Vorwarnung versagte. Der schwerste Angriff auf Innsbruck gegen Kriegsende erfolgte am 16. Dezember 1944. Doch neben dem Hauptbahnhof wird das Stadtzentrum (Rathaus, Dom, Stadtsaal, Landesgericht etc.) schwer getroffen. Ein Langzeitzünder explodierte erst eine Stunde nach  dem Angriff. Der Keller des Rathauses, in dem viele Menschen verschüttet waren, wurde dadurch zum Einsturz gebracht, sodass 24 Menschen, vorwiegend Magistratsbeamte, umkamen. Insgesamt waren neben den hohen Sachschäden 35 Tote zu beklagen. Da die Bombenangriffe bereits zum Alltag gehörten, nahm die NS-Presse nur mehr in relativ kleiner Aufmachung Stellung. Zunächst wurde festgehalten: „Die Luftschutzeinrichtungen der Stadt haben sich ebenso bewährt, wie die Luftschutzdisziplin der Bevölkerung.“ Angesichts der für alle InnsbruckerInnen deutlich sichtbaren Zeichen des nahenden Zusammenbruchs verzichtete das Regime auf öffentliche Begräbnisinszenierungen und begnügte sich damit, den Hass gegen den Kriegsgegner zu schüren und vage auf den baldigen Einsatz von Wunderwaffen mit Bezugnahme auf den „Führermythos“ hinzuweisen:

„Grenzenloser Haß und das glühende Verlangen, diese unmenschliche Untat mit schonungsloser Schärfe zu vergelten, sind die einzige Empfindung, die außer der Auseinandersetzung mit den eigenen und den Gemeinschaftssorgen alle Gemüter bewegt. Wir alle blicken voll Vertrauen auf unsere Soldaten und erwarten mit Zuversicht den Tag, an dem der Führer den Befehl geben wird, ihre geballte Kraft mit neuen Waffen gegen den Feind im Westen einzusetzen, der durch seinen Mord- und Brandterror gegen Wehrlose neuerdings bewiesen hat, daß er sich von den asiatischen Bestien im Osten durch nichts unterscheidet – es wäre denn durch größere Feigheit.“

Der Angriff vom 16. Dezember 1944, bei dem auch Brandbomben zum Einsatz gekommen waren, die 30 Großbrände, 36 Mittelbrände und 200 Kleinbrände ausgelöst hatten, unterschied sich in seiner Qualität wesentlich von allen anderen Angriffen auf Innsbruck. Waren bis dahin kriegswichtige Ziele mit strategischer Bedeutung bombardiert worden, so lag dieses Mal der Schwerpunkt auf zivilen Zielen.

Ende Februar 1945 weiteten sich die Angriffe in der Schlussoffensive der Alliierten auf die gesamte Brennerstrecke und auch auf das Inntal – Kufstein, Jenbach, Wörgl und Rattenberg – aus, neben Innsbruck und Hall waren zudem Reutte und Lienz betroffen. Die Verkehrswege waren auf das Schwerste beeinträchtigt. Den Höhepunkt erreichte der Luftkrieg auf der Brennerstrecke sowie Österreichweit im März 1945. Vom 10. auf den 11. April flog die englische Luftwaffe den einzigen echten Nachtangriff auf Innsbruck. Die Schulchronik der Volksschule Rum wusste Folgendes über das Bombardement zu berichten:

„11. April 1945: Zwischen 9 u. 10h nachts war ein Nachtangriff auf Innsbruck. Auf einmal, man hatte sich gerade zu Bette gelegt, heulten die Sirenen und bald surrten auch schon die Flieger über uns. Man hörte ein Krachen und in demselben Augenblick erstrahlte ein wunderschöner Christbaum am Himmel, scheinbar von der Erde bis zum Himmel reichend. Es waren Leuchtkugeln, die den Bombern das Ziel angaben. Wäre nicht so viel Elend und Not daraus entstanden, so müßte man von einem herrlichen Feuerwerk sprechen. Es war eine schlechte Zeit für unsere Schule, da fast täglich gegen 10h die Sirenen heulten. Sobald von der Gendarmerie Luftgefahr gemeldet wurde, mußten alle Kinder fortgeschickt werden. Die einen liefen heim, die anderen hatten sich schon vorsorglich ein bißchen Suppe oder Brot oder ein paar Erdäpfel mitgenommen und gingen gleich in die Bunker hinauf, die oberhalb des Dorfes in den Boden gegraben waren. Dieses Schuljahr kann man wohl ein verlorenes nennen.“

Unter den 32 Toten dieses Angriffes befanden sich auch eine alte Frau und fünf Kinder, die im Pradler Erdstollen aufgrund der ungewohnten Nachtzeit durch die in Panik geratene Menge zu Tode getrampelt worden waren. Das zuständige Polizeirevier vermerkte dazu nur lakonisch: „Die Bevölkerung verhielt sich infolge des überraschenden Nachtangriffes etwas aufgeregt.“ Die NS-Presse bezichtigte die InnsbruckerInnen, sich luftschutzwidrig verhalten zu haben. So wäre ein Teil der Opfer „bei besserer Luftschutzdisziplin“ zu vermeiden gewesen, die Alarmierung sei „vollkommen rechtzeitig“ gegeben worden. Für die Aufräumungsarbeiten nach diesem Nachtangriff auf Innsbruck wurden von den Stadtwerken 174 Häftlinge des „Arbeitserziehungslagers Reichenau“ herangezogen.

Auch in den nächsten Tagen hatte Tirol schwere Angriffe zu überstehen. Einen Angriff von Tieffliegern schildert ein Zeitzeuge so:

„[…] genau auf der Brücke bei der Ottoburg ist von Westen dieses Flugzeug gekommen, hat geschossen und ich habe mich auf die Brücke hingeworfen. […] also ich war ungefähr am ersten Drittel der Brücke wie die Lightning gekommen ist und dann sofort angefangen hat zu schießen. Es war ja alles voll, beide Gehsteige voll Leute, die zu den Stollen gelaufen sind und nachdem die Gehsteige überfüllt waren, bin ich auf der Fahrbahn gelaufen, was also mein Glück war, so haben mich weder die Schüsse aus den Bordkanonen noch die eine Splitterbombe, die am östlichen Gehsteig explodiert ist, getroffen. […]. In dem Fall waren also nur Zivilpersonen betroffen. Splitterbomben sind aufgrund ihrer Wirkung nur gegen Menschen gedacht gewesen.“

Den letzten „Großkampftag“ im Luftkrieg erlebte Tirol am 20. April, dem Geburtstag Hitlers. Innsbruck, Hall, Schwaz, Jenbach, Kundl, Wörgl, Steinach und die Eisenbahnbrücke bei Roppen wurden noch arg in Mitleidenschaft gezogen. Nach dem Selbstmord Hitlers am 30. April und dem völligen Zusammenbruch der deutschen Wehrmacht konnten amerikanische Truppen am Abend des 3. Mai in Innsbruck kampflos einmarschieren, nachdem die Tiroler Widerstandsbewegung bereits die Landeshauptstadt kontrollierte.

Die Bombardements der Alliierten hatten zwar nicht zur erhofften Demoralisierung der Zivilbevölkerung geführt, aber doch zu einer allgemeinen physischen und psychischen Erschöpfung. Als einen der Hauptfaktoren für die Kapitulation der deutschen Truppen in Italien und für das Ausbleiben eines „Endkampfes“ auf Tiroler Boden sahen die USA die erfolgreiche Bombardierung der Brennerstrecke an. Durch den Luftkrieg waren im ehemaligen Gau Tirol-Vorarlberg rund 1500 Bombenopfer zu beklagen, ein Drittel davon in Innsbruck. Auch bei den materiellen Schäden trug Innsbruck die Hauptlast. 80 Prozent der Gesamtschäden betrafen die Landeshauptstadt. 60% der Wohnungen in Innsbruck waren zerstört oder unbewohnbar. Die schwersten Schäden gab es in den Stadtteilen Wilten und Pradl, in der Umgebung des Bahnhofes sowie in der Maria-Theresien-Straße und der Altstadt. Auch wenn Tirol von den furchtbaren Flächenbombardements deutscher Städte verschont blieb und die Anzahl der Toten sowie der materielle Schaden im gesamtösterreichischen Vergleich relativ gering war, so sagen diese statistischen Vergleiche wenig über das wahre Elend der Bevölkerung aus, das der (Luft)Krieg Tirol und ganz besonders Innsbruck bescherte. Letzten Endes mussten viele TirolerInnen für die Folgen der NS-Gewaltherrschaft und die Verbrechen des NS-Regimes in dem von ihm mutwillig vom Zaun gebrochenen Vernichtungs- und Eroberungskrieg bitter bezahlen. Anlässlich der Gedenkfeier des Innsbrucker Gemeinderates für die Bombenopfer am 15. Dezember 1948 gab Bürgermeister Anton Melzer eine treffende Antwort auf die Frage des Umgangs mit der Problematik des Luftkrieges und seinen Auswirkungen auf die Innsbrucker Bevölkerung:

„Warum mussten diese Frauen und Kinder, diese ahnungslosen Menschen ein so schreckliches Schicksal erleiden? […]. Die Antwort gibt das nationalsozialistische Lied mit grauenhaftem Refrain: ‚Wir werden marschieren, bis alles in Scherben fällt, denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.‘ Gerade weil die toten Kinder und Frauen, die wir heute beklagen, an ihrem Schicksal so schuldlos waren, beschwören sie uns mit ganz besonderer Eindringlichkeit, nie wieder dem Wahn zu verfallen, daß Macht vor Recht bestehen könne. Der Machtrausch, die Beugung allen Rechtes und aller Sittlichkeit haben uns die Ruinen und unsere Toten hinterlassen. […]. Wenn immer es uns gelingt, in unserer Stadt, in unserem Volk die unerschütterliche Überzeugung einzuprägen und zu erhalten, daß nur der Friede, gegründet auf Recht und Gerechtigkeit, auf die Dauer Bestand haben kann, dann sind die Toten, deren wir heute in dieser Trauersitzung gedenken, nicht umsonst gestorben“