Zur Rolle von Gewerkschaft, Personalvertretung und den ÖVP-LehrerInnenvereinen in der AHS-Tirol

Aus: Gaismair-Jahrbuch 2003
Horst Schreiber

„In Tirol läuft vieles objektiver, als in der Öffentlichkeit kolportiert.“ [1]

Bei der Durchsicht der Karrieren der Spitzenfunktionäre der ÖVP-(nahen) LehrerInnenvereine fällt auf, dass diese die Rekrutierungsfelder für die DirektorInnen- und InspektorInnenposten darstellen. Dabei erscheint es sehr ungewöhnlich, dass sich LehrerInnenorganisationen wie der „Arbeiter- und Angestelltenbund“ (AAB) und der „Verein Christlicher Lehrer“ (VCL) als Teile der „Österreichischen Professorenunion – ÖPU“ (AAB, VCL, Fraktion Christlicher Gewerkschafter – FCG), welche die praktische und theoretische Interessensvertretung des Lehrpersonals wahrzunehmen haben, in erster Linie aus VertreterInnen der Dienstgeberseite zusammensetzen. So waren etwa im Schuljahr 2000/2001, also zum Zeitpunkt, als in den Tiroler Schulen Streikmaßnahmen und Arbeitskämpfe gegen die massiven Einsparungen der ÖVP/FPÖ-Bundesregierung diskutiert worden sind, die Obleute und Stellvertreter des AAB und VCL Mitarbeiter des Landesschulrats oder Direktoren, die sich auch in den Beiräten bzw. im weiteren Vorstand befanden (siehe Tabelle 2).

In Tirol erleichtert ein Spitzenmandat im Gremium der Tiroler Gewerkschaft bzw. der Landespersonalvertretung enorm den Zugang zu Leitungspositionen im Schulbereich (siehe Tabelle 1). Bei der Besetzung der Inspektorenposten im AHS-Sektor fällt auch die häufige Berücksichtigung von Stammlehrern bzw. Direktoren des Akademischen Gymnasiums und des BRG Pichlerplatz auf (Mumelter, Rainer, Plank, Delazer, Besler, Zimmermann, Plankensteiner). Die personellen Überlappungen zwischen Personalvertretung (Fachausschuss) und Gewerkschaft waren lange Zeit deutlich ausgeprägt (Plank, Delazer), wobei der jahrelange Usus, dass oberste Gewerkschafter bzw. Personalvertreter wie Plank und Besler gleichzeitig Direktoren waren, unvermeidlich zu Interessenskollisionen führen musste. Aktuell ist der stellvertretende Vorsitz der AHS-Gewerkschaft mit einer Direktorin besetzt.

Im AHS-Bereich war bis jetzt die Besetzung des Obmannpostens in der Gewerkschaft und Personalvertretung gleichbedeutend mit dem sicheren Aufstieg in der schulischen Hierarchie. Alle Vorsitzenden des Fachausschusses von 1967 bis 2000 (Plank, Besler, Reichsöllner, Zimmermann, Nell, Röck) sowie alle Vorsitzenden der Gewerkschaft bis 1993 (Plank, Reichsöllner, Aufderklamm, Koch) wurden Direktoren und Inspektoren. Mit Delazer und neuerdings Christandl, der ersten Frau in einer Spitzenfunktion in der Interessensvertretung, schafften auch zwei stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft bzw. des Fachausschusses den Sprung auf den Inspektor- (Delazer) bzw. Direktorinnenposten (Christandl).

Bisher wurden seit 1948 alle Obleute der Gewerkschaft AHS mit einer Ausnahme und alle Vorsitzenden des Fachausschusses, den es seit 1967 gibt, Direktoren und Inspektoren.

Das Innehaben eines Spitzenmandats innerhalb der Interessensvertretungen für LehrerInnen sollte zwar kein Hinderungsgrund sein, DirektorIn oder LandesschulinspektorIn zu werden, allerdings weist eine derartige Häufung deutlich auf die Art und Weise der Elitenrekrutierung im Tiroler Schulbereich hin, wo die Verwischung der Grenzen zwischen Schulaufsicht, Dienstgeber- und ArbeitnehmerInnenseite geradezu System hat. Auch die jahrzehntelange Konfliktscheu der Tiroler Gewerkschaftspolitik erhält unter diesem Blickwinkel eine andere Dimension. Einrichtungen zur Wahrung von Interessen der LehrerInnen degenerierten zu Karriere- und Aufstiegsvehikeln. Für den amtierenden Vorsitzenden der AHS-Gewerkschaft, Wolfgang Muth, liegt es „in der Natur der Sache“, dass die SpitzengewerkschafterInnen und führenden PersonalvertreterInnen ein breites Spektrum an Qualifikationen aufweisen:

„Immerhin sind Gewerkschafter und Fachausschussmandatare in der Regel bestens mit Gesetzesmaterien vertraut und gewohnt schulübergreifend zu denken. Durch ihre vielfältige Tätigkeit lernen sie überdies das Schulwesen sowohl von seiner juristischen, als auch von seiner praktischen Seite umfassend kennen, wodurch ihre Erfahrungen dem in Managementseminaren Gebotenen durchaus ebenbürtig sind.“[2]

Unabhängig von der Zustimmung oder Ablehnung dieser Argumentation gilt es jedoch festzustellen, dass der tatsächliche Erwerb dieser Qualifikationen bis jetzt immer nur InteressensvertreterInnen von ÖVP-Teilorganisationen oder ÖVP-nahen Vorfeldorganisationen zugebilligt worden ist. Es ist daher wesentlich zu betonen, dass auf Grund der Bedeutung und Stärke der ÖVP-Vorfeldorganisationen im Schulbereich der Besitz eines Parteibuches zur Erringung eines Leitungspostens in Tirol nicht unbedingt notwendig war und ist. Wichtig war vielmehr die Verankerung in weltanschaulichen Gruppierungen wie dem Katholischen Tiroler Lehrerverein, den farbentragenden katholischen Mittelschul- und Cartellverbindungen sowie die Ausübung einer Gewerkschafts- bzw. Personalvertretungsfunktion in den Reihen der ÖPU, das heißt der FCG, dem AAB und VCL.

Tabelle 1

Karrieren der ÖVP-nahen (stellvertretenden) Vorsitzenden der Gewerkschaft und Personalvertretung (Fachausschuss) AHS 1948 bis 2001

Name GewerkschaftFachausschussDirektorInspektor
Erich Plank FCG1948-19751967-197519711975
Ernst Delazer FCG   ?   -1975[3] 1967-1975[4] 1975
Walter Besler ÖPU[5] 1975-197919751980
Alois Reichsöllner FCG1975-19811979-19811981 
Kurt Aufderklamm FCG1981-1985 1983[6] 
Erhard Koch FCG1985-1993 1993 
Gerlinde Christandl FCGSeit 1993[7] 2000 
Günther Lechner FCGSeit 1993[8] 2003 
Anton Zimmermann ÖPU[9] 1981-198719872001
Roman Nell VCL 1987-19961996 
Josef Röck VCL 1996-20002000 

Tabelle 2

Zusammensetzung der ÖVP-(nahen) LehrerInnenvereine VCL und AAB 2001

Verein Christlicher Lehrer (VCL)

Obmann Roman Nell: Direktor Akademisches Gymnasium Innsbruck

Stellvertreterin Monika Schober: Direktorin KORG Innsbruck

Vorstandsmitglieder (4): Josef Röck: Direktor BRG/BORG Landeck[10]

Arbeiter- und Angestelltenbund (AAB)

Obmann Thomas Plankensteiner: Landesschulrat (seit 2001 Landesschulinspektor)

Stellvertreter Erhard Koch: Direktor BORG Innsbruck

Stellvertreter Peter Paul Steinringer: Landesschulrat(seit 2002 neuer AAB-Vorsitzender und Direktor des WiKu RG der Ursulinen Innsbruck)

Beiräte (4): Johann Sterzinger: Direktor BRG/BORG Telfs

        Werner Rumpf: Direktor BRG Reutte

Literaturhinweis

Schreiber, Horst: „Es entspricht der Mentalität des freiheitsliebenden Tirolers, immer klar Farbe zu bekennen.“ Zur Geschichte, Struktur und Entwicklung der Tiroler Schule 1945-1998, in: Michael Gehler (Hg.), Tirol. Land im Gebirge, Wien-Köln-Weimar 1999 (Geschichte der österreichischen Bundesländer seit 1945), S. 487-568.


[1] Landesschulratspräsident Sebastian Mitterer, in: fcg-ahs-aktuell. Die Zeitung der FCG in der Sektion 11 Tirol, Mai 2000, S. 2.

[2] Wolfgang Muth, Zu den Schulleiter-Bestellungen in Tirol, in: ÖPU-Nachrichten Oktober 2000, S. 13.

[3] Stellvertretender Vorsitzender der Landessektionsleitung der Gewerkschaft AHS Tirol.

[4] Stellvertretender Vorsitzender des Fachausschusses AHS Tirol.

[5] Bei Besler konnte der Autor nicht ermitteln, welcher Teilfraktion der ÖVP-nahen ÖPU er angehört.

[6] Direktor der Innsbrucker Volkshochschule.

[7] Stellvertretende Vorsitzende der Landessektionsleitung der Gewerkschaft AHS Tirol.

[8] ab 1993 einige Jahre Vorsitzender der Landessektionsleitung der Gewerkschaft AHS Tirol und bis 2003 Mitglied.

[9] Bei Zimmermann konnte der Autor nicht ermitteln, welcher Teilfraktion der ÖVP-nahen ÖPU er angehört.

[10] Ehrenmitglied und Langzeitvorsitzender: Johann Böhm(Landesschulinspektor im Ruhestand seit 2001).